Stufen der Ideen bezieht sich auf zwei späte, äußerst polemische Texte von Lew Tolstoi: ›Patriotismus oder Frieden‹, geschrieben im Jahr 1896, und ›Patriotismus und Regierung‹ aus dem Jahr 1900. In diesen Texten spricht er von den Ideen der Zukunft, also von der Gleichberechtigung der Frauen, den Rechten der Arbeiter und der ökologischen Bilanz. Dieser Text bezieht sich einerseits auf den Anarchismus des 19. Jahrhunderts, andererseits geht er mehreren späteren Versuchen voraus, das Leben der Menschheit universellen ethischen Gesetzen zu unterwerfen, wie es Jahrzehnte später in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 oder in Franklin Delano Roosevelts ›Four Freedoms‹-Rede aus dem Jahr 1941 gemacht wurde. Wie in vielen anderen meiner Stücke baue ich die Wirkung der Musik auf dem Prinzip der Ambivalenz auf. So muss der scharf gesellschaftskritische Text von Tolstoi möglichst trocken, ohne Pathos und neutral gesprochen werden, um seine Wirkung zu entfalten. Andererseits steht dieser klare und schmucklose Text in bewusstem Kontrast zu dem extrem polyphonen, an manchen Stellen pointillistischen Satz des Streichorchesters. Keine einzige Stimme von zwanzig Solostreichern wird auch nur in einem Moment des Stücks verdoppelt. Ich wollte einen extrem fragilen und zugleich transparenten Orchestersatz schreiben, in dem mehrere kleine Ereignisse sich überlagern, zusammenfließen und so die Gesamtdramaturgie des Stücks bilden. So wirkt das Stück zugleich auf der Ebene des Textes und auf der Instrumentalebene. Die beiden Ebenen gehen manchmal klanglich sehr weit auseinander, um später zu einem Fokus zu gelangen und um einen gemeinsamen Ausdruck zu finden.
Sergej Newski