Das geistliche Gegenstück zur weltlichen Gattung des Madrigals im 16. Jahrhundert ist die Motette. Jedoch findet sich der Grund, aus dem Sebastian Claren seine Komposition Schlachten 2: Motette nennt, weniger im Textinhalt des Stückes als vielmehr in der Strukturierung der einzelnen Stimmen. Drei Frauenstimmen, Bassklarinette, Schlagzeug und Streichtrio treten in verschiedenen Konstellationen auf: in zwei vom Streichtrio begleiteten Terzetten der drei Sängerinnen und zwei Duetten, begleitet von Bassklarinette und Schlagzeug. »Diese Aufteilung«, so Claren, »ist für mich eine direkte Anspielung auf die Motetten Guillaume de Machauts. Allerdings dienen bei ihm die wesentlich kürzeren Duette immer als Einleitung für die volle Besetzung, während es in meinem Stück genau umgekehrt ist: Die Duette folgen jeweils auf die Terzette.«
Inhaltlich beruht Schlachten 2: Motette auf einem Text von Rainald Goetz, in dem drei Frauen – eine Mutter und ihre beiden Töchter – die Tyrannei des Familienvaters beklagen. Analog zu Goetz‘ Erzählstil wirkt die Musik gleichsam fragmentarisch und reduziert, dabei aber ausgesprochen direkt und hochkonzentriert. Eintaktige, punktuelle Klangmomente wechseln sich über weite Strecken mit ganztaktigen Tutti-Pausen ab, so dass ein scheinbar natürlicher Atemrhythmus entsteht. Teils treten Gesang und Instrumentalstimmen alternierend auf, teils verschmelzen sie zu einem gemeinsamen Lauterzeugungsapparat.
Bei der Behandlung der Singstimmen hat Claren sich vor allem mit der Technik der Vibratos und seinen verschiedenen Ausprägungen auseinandergesetzt: »Ich habe das Vibrato in meinem Stück vollständig ausnotiert, denn es nimmt eine Zwischenstellung zwischen Tonbelebung und notierter Verzierung ein. Für mich ist dies ein Ausweg aus dem Dilemma, zwischen dem pauschalen Vibrato der klassischen Musik, das uns immer in die Ausdruckswelt der romantischen Musik zurückzieht, und dem vibratolosen Spiel der zeitgenössischen Musik, das in den allermeisten Fällen unbefriedigend bleibt, wählen zu müssen.« Die Entscheidung wurde maßgeblich angeregt durch Clarens Beschäftigung mit traditioneller koreanischer Musik, in der die Brechung der Tonhöhe ein wesentlicher Teil der musikalischen Substanz ist.
Leonie Reineke