Roberto Sierra wurde 1953 auf Puerto Rico geboren, studierte bei György Ligeti an der Hochschule für Musik in Hamburg Komposition und unterrichtet heute an der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York. Das Concerto for Saxophones and Orchestra entstand als Auftragswerk für das Detroit Symphony Orchestra und ist dem Saxophonisten James Carter gewidmet. Dieser hat es 2002 unter der Leitung von Neeme Järvi uraufgeführt, der Vater von Kristjan Järvi war damals Chefdirigent in Detroit. Sierras Konzert ist auf die außergewöhnlichen spieltechnischen Möglichkeiten Carters abgestimmt und bietet dem Solisten eine extrem breite Palette, sein Instrument virtuos zum Strahlen zu bringen. Bei der umjubelten Uraufführung im Jahre 2002 forderte das Publikum spontan die sofortige Wiederholung des Konzerts. Dem Wunsch kam man damals mit einer Zugabe aus dem Schlussteil entgegen. Der Plural Saxophones im Titel des Werks deutet bereits an, dass ein Instrument hier keineswegs ausreicht, weder für die Gestaltungskraft des Komponisten noch für die Spielfreude des Interpreten: Es kommen zwei Instrumente zum Einsatz, Tenor- und Sopransaxophon. In einer euphorischen Uraufführungskritik heißt es, der Solist James Carter sei vom »Keller des Tenorsaxophons bis in die Stratosphäre« vorgedrungen.
Der erste Satz mit dem spanischen Titel Ritmico beginnt nach einer lapidaren Orchestertoccata mit jener rhythmischen Energie, deren Sog den Jazz so unwiderstehlich macht. Orchester und Tenorsaxophon gehen angeregt und einvernehmlich aufeinander ein, ergänzen sich in ihren Floskeln und werfen sich gegenseitig Bälle zu. Gleichzeitig bietet sich genügend Raum für eine freie Entfaltung der Soli. Der zweite Satz Tender (»sanft«) beginnt im ruhig pulsierenden Rhythmus eines getragenen Jazz-Waltz‘ und erinnert im ruhigen Strom des Orchesters geradezu an langsame Sätze aus Bach-Suiten. In diesem langsamen Mittelsatz hat das Sopransaxophon seinen großen Solo-Auftritt. Hier kann es mit verblüffenden Registerwechseln aufwarten und instrumentale Farbwerte hervorbringen, die sowohl Eindrücke zärtlicher Hörnerklänge als auch kräftiger Oboentöne hervorrufen. Im Verlauf des Stücks werden die vom Orchester umspielten Exkurse des Solisten zunehmend gewagter, expressiver, virtuoser und befreien sich deutlich vom anfangs eingeführten Jazz-Idiom, sie nehmen sogar ferne klassische Vorbilder in den Figurationen auf.
Playful, »spielerisch«, gibt sich der Finalsatz, wobei dies im klingenden Resultat zweifellos nicht nur Spielfreude, sondern gerade auch die übermütige Auseinandersetzung mit Klangeffekten und der Spieltechnik des Saxophons bedeutet. Denn dieser Satz ist ungemein energiegeladen, kapriziös, experimentierfreudig und quirlig. Die Einsätze von Tenor- und Sopransaxophon wechseln sich ab, brüske Umbrüche im Gestus sorgen für Überraschungen. Dezente Blues-Anklänge, laszive Bar-Jazz-Eleganz, Boogie-Akkorde und Free-Jazz-Einsprengsel werden kurz gestreift. Auch Multiphonics und perkussive Klangeffekte kommen hier in der Solopartie zu ihrem Recht. Das Orchester wird durch diese vielseitige und überaus lustvolle Inszenierung der Solopartie natürlich gleichermaßen mitgerissen.
Eckhard Weber