für Oboe und Orchester (2010-2013)
Blau, See von Robert HP Platz wurde im Oktober 2014 mit der Deutschen Radio-Philharmonie in Saarbrücken in einem Konzert anlässlich des 75. Geburtstags von Heinz Holliger uraufgeführt. Der Jubilar, einer der profiliertesten Oboisten unserer Tage, Dirigent und Komponist, spielte selbst die Solopartie der Oboe in Blau, See. Das Werk ist auch Heinz Holliger gewidmet. Robert HP Platz, der bei der Uraufführung am Dirigentenpult stand, bewundert Holliger seit seiner Jugend. Als Platz Anfang der 1970er Jahre an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg im Breisgau studierte, traf er bereits persönlich mit Holliger zusammen: „Als ich in Freiburg Dirigieren bei Francis Travis studierte, wartete ich auf meinen Unterricht im selben Zimmer wie Holligers Studenten. Dadurch war schon zu Studienzeiten eine Verbindung gegeben“, hat sich Robert HP Platz in einem Interview anlässlich der Uraufführung von Blau, See erinnert.
Die Komposition steht in einem engen Zusammenhang mit anderen Werken von HP Platz, die bereits im Titel auf Bezüge zueinander anspielen: Blau, See I für Orchester wurde 2010 in Cottbus uraufgeführt. 2015 auf den Sommerlichen Musiktagen Hitzacker kam das Kammerwerk See für Oboe und Englisch Horn zur Uraufführung, mit Heinz Holliger im Duo mit Marie-Lise Schüpbach. Solche Vernetzungen zwischen einzelnen Werken sind typisch für das Werkverständnis von Robert HP Platz: Er fasst seine musikalischen Gedanken in „klangliche Landschaften“, wie er dies genannt hat, die sich in unterschiedlichen formalen Ausprägungen im Sinne einer „Formpolyphonie“ manifestieren. Die einzelnen Stücke haben durchaus einen autonomen Status als Kunstwerk, es ist weder beabsichtigt, sie als Werkzyklus gemeinsam aufzuführen noch greift das offene Konzept eines Work in Progress. Es geht vielmehr darum, einen gemeinsamen Fundus an Klanggestalten, musikalischen Gesten, harmonische Konstruktionen, Rhythmuskonfigurationen oder Besetzungsvorstellungen in verschiedenartiger Weise zu reflektieren.
Aber die Bezüge reichen mitunter noch weiter und beschränken sich keineswegs nur auf die eigene Werkstatt: Gerade im Fall von Blau, See hat Robert HP Platz auf „unterirdische Verbindungen“ zum Eingangssatz aus Gustav Mahlers zehnter Symphonie hingewiesen, jenem Adagio, das Mahler als einzigen Formteil dieses fragmentarisch hinterlassenen Werks vor seinem Tod fertigstellen konnte. Damit endet das Netz der Beziehungen jedoch noch nicht: Die Bratschenstimme, mit der das Adagio beginnt und die an mehreren dramaturgischen Scharnieren dieses Satzes von Mahler auftritt, weist wiederum Ähnlichkeiten zu einer Passage aus Richard Wagners Tristan und Isolde auf. Es handelt sich dabei um das exponierte Instrumentalsolo zu Beginn des ersten Aufzugs zum dritten Akt: Das Englischhorn spielt eine schwermütige Kantilene als romantisch verklärte Stilisierung einer Hirtenmelodie. Als auskomponierte Klangchiffre weist dieses Solo sowohl auf die tragische Liebeverstrickung zwischen Tristan und Isolde in den beiden vorangegangenen Akten als auch auf den „Liebestod“ am Ende hin.
Diese Referenz über Mahler zu Wagner steckt auch in Robert HP Platzs poetischem Kommentar zu seinem Werk Blau, See: „Fragmentierte Szenen als Echo auf Vergangenes, Vorausahnung des Kommenden. / Vertiefung des Raumes, ein Englisch Horn hinter der Szene als ferner Ruf, als Ankündigung, Versprechen. Dialoge. / Hommage an einen großen Solisten.“ Das Englischhorn beleuchtet als Alt-Instrument der Oboe die Oboe selbst nochmals gewissermaßen in einem dunkler getönten Licht. Bis in solche subtilen klanglichen Details reichen die Bezüge. Blau, See hält Kontraste bereit, fahle und kräftige Farben, dunkle und strahlende Klanggestalten, Erdenschweres und Luftiges und hält dies alles doch in einem Gravitationsfeld zusammen. „Bei mir selbst evoziert der Titel auch räumliche Vorstellungen, Nähe/Ferne; über die ,kalte‘ Farbe Blau auch: kühle Extase des Komponierens“ hat Robert HP Platz im Umfeld der Uraufführung 2014 über Blau, See gesagt.
Eckhard Weber