Arbeitet Yair Klartag mit den Kräften einer (metaphorisch-musikalischen) Schwerkraft, so wirkt das Konzert für zwei Schlagzeuger und Orchester von Rebecca Saunders nachgerade schwerelos. Die britische, in Berlin lebende Komponistin forscht am Klang, umkreist ihn, beleuchtet ihn aus verschiedenen Perspektiven. Ihre Werke sind Energie-Studien, mit schroffen Gegensätzen, die doch immer kompositorisch aufeinander bezogen sind. Das ist auch hier der Fall. Es gibt keine lineare Dramaturgie, weder kontinuierliche Steigerung noch eine großformale Symmetrie. Über etwa 25 Minuten entwickelt sich ein permanenter Energiefluss, ein Austausch zwischen Solisten und Orchester. Der ›Grundton‹ des Werks ist leise, geprägt zunächst vor allem von Beckenklängen im Schlagzeug – eine Klangwelt, die von feinster klanglicher Nuancierung lebt. Aus diesem eher zarten Geflecht erwachsen jedoch immer wieder geradezu bruitistische Passagen von mechanistischer Gewalt, die ebenso rasch (wenn auch nicht unvermittelt) auftauchen, wie sie ihre Energie wieder verlieren und eingebunden werden in eine Klangwelt, die nicht auf Überwältigung, sondern auf Differenzierung setzt. Und immer wieder wird dieses fein gesponnene Geflecht so ausgedünnt, dass die Musik an den Rand des Schweigens gerät. Hier entstehen jene (scheinbar) ›leeren Räume‹, die zu füllen sich Rebecca Saunders vorgenommen hat und die ihrem Werk den Titel geben. »Void: vuide + Volder, L.vacare + voc tus. / inhaltslos, wüst, frei. / abwesend, fehlend, leer.« So lautet die lexikalische Erklärung, die die Komponistin ihrem Werk vorangestellt hat. Die Stille, die Leere – in Rebecca Saunders’ Komponieren nehmen sie einen zentralen Platz ein. Im Zusammenhang mit ihrem Streichquartett Fletch sagte sie: »›Stille‹ ist ein aktives kompositorisches Mittel, schafft doch das Umrahmen einer Geste erst jenen Raum, in dem Klänge gehört werden. […] Der Akt des Komponierens setzt den Klang in Bewegung, zieht ihn unter dieser Oberfläche der ›Stille‹ hervor, macht sichtbar.« Und in einem Gespräch mit dem amerikanischen Musikjournalisten Jeffrey Arlo Brown schwärmt sie vom Berlin der 1990er-Jahre. »There were just so many empty spaces, empty places. […] Having that void – you can fill a void.« Der Begriff ›void‹ hat – im Zusammenhang mit dem von Daniel Libeskind entworfenen Jüdischen Museum in Berlin – in den letzten Jahren auch musikalisch Verwendung gefunden, zum Beispiel in Werken von Claus-Steffen Mahnkopf und Nikolaus Brass. Rebecca Saunders referiert mit dem Titel ihres Doppelkonzerts allerdings weniger auf Libeskind als auf Samuel Beckett, ihren Lieblingsdichter, und dabei speziell auf Texte um Nichts, eine Sammlung von Kurzgeschichten aus den Jahren 1947 bis 1952. »Der letzte der dreizehn Texte um nichts von Samuel Beckett heißt schlicht XIII«, so Saunders in einer Werknotiz zu Void. »Eine Kurzprosa von großer Kraft und Klarheit. Intensive, fragil-flüchtige Momente, die das unaufhörliche, mundlose Murmeln einer Stimme schildern, verzahnen sich mit gewalttägigen Ausbrüchen von Wut und Hoffnungslosigkeit.« Die Parallelen zur Partitur sind unmittelbar erfahrbar. In den letzten Jahren hat Rebecca Saunders neben einigen groß besetzten Ensemblewerken, die dezidierte Raum-Stücke sind, eine Reihe von Konzerten geschrieben, in denen sie das klangliche Potenzial eines Instruments in Bezug auf das Orchester immer wieder neu erkundet. Alle diese Konzerte sind in enger Zusammenarbeit mit den Interpreten der Uraufführung entstanden, das Violinkonzert für Carolin Widmann, das Trompetenkonzert für Marco Blaauw. Und auch Void verdankt sich gemeinsamer Forschungsarbeit von Komponistin und Interpreten, »gemeinsamen inspirierenden Klangsondierungs-Sessions«, so Saunders, mit den Schlagzeugern Christian Dierstein und Dirk Rothbrust. Entstanden ist so ein Meisterwerk der Subtilität, das die Zuhörer sogartig in die Klänge zieht und einen großen, nie abreißenden Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten Takt aufmacht.
Rainer Pöllmann