„Raubkatze und Chamäleon“

Silke Lange (Akkordeon) & Ruth Velten (Saxophon) von LUX:NM im Interview für Ultraschall Berlin 2025

Silke Lange, Ruth Velten, welche Bedeutung hat LUX:NM für Sie?

Ein Ensemble ist immer auch ein bisschen wie eine Familie. Man teilt nicht nur die Leidenschaft für die Musik und das künstlerische Arbeiten, sondern auch alle Höhen und Tiefen des gemeinsamen Weges. Man lernt, sich aufeinander zu verlassen, sich gegenseitig zu stützen und zu inspirieren. Es gibt Momente der Freude, des gemeinsamen Erfolgs, aber auch Zeiten, in denen es schwierig wird, in denen man an sich und an der Gruppe zweifelt. Gerade diese gemeinsamen Erlebnisse schaffen eine tiefe Verbundenheit, die weit über die Musik hinausgeht. In einem Ensemble wächst man miteinander, wird von den anderen bereichert und prägt das Ganze auf eine ganz eigene Weise. Wie in einer Familie gibt es unterschiedliche Persönlichkeiten, und doch ist jeder einzelne Beitrag von unschätzbarem Wert, um das Zusammenspiel harmonisch und lebendig zu gestalten. Jeder trägt etwas Einzigartiges bei, und zusammen entsteht etwas, das nur durch das Miteinander möglich wird. Wir haben uns bewusst für die Freiberuflichkeit entschieden, da sie uns die Freiheit gibt, kreativ zu gestalten und in vielfältigen Bereichen zu arbeiten. Jedes Ensemblemitglied bringt eigene, teils sehr unterschiedliche Ansätze und Interessen ein, doch zugleich gibt es viele gemeinsame Werte und Ziele. Besonders stark ausgeprägt ist bei uns allen der Wunsch und die künstlerische Haltung, nicht nur als Interpretin oder Interpret tätig zu sein, sondern auch kompositorisch und dramaturgisch zu wirken.

Ein Rezensent beschrieb das Ensemble einmal auf wunderbare Weise mit den Worten „Licht, Raubkatze und Luxus“ – eine Charakterisierung, die das Wesen des Ensembles in seiner ganzen Vielschichtigkeit ziemlich genau trifft. Wir wollen uns nicht auf eine bestimmte Richtung festlegen, sondern stets offen und wandelbar in unserer Arbeit bleiben. Die intensive kammermusikalische Praxis, die uns so am Herzen liegt, bildet dabei das Fundament, auf dem wir uns in den letzten Jahren immer weiterentwickelt haben. Das Symbol der Raubkatze steht für unsere unermüdliche Neugier und die Freude daran, immer wieder Neues zu entdecken. „LUX“ hingegen verweist auf die Beleuchtungsstärke und damit auf die ästhetische Freiheit, die wir in unserer Musik und unserem kreativen Schaffen erleben. Diese Freiheit bedeutet für uns, alle Facetten der (nicht nur) Neuen Musik zu ergründen und dabei keine Grenzen zu scheuen. Das umfasst nicht nur die komponierte Musik, sondern auch die Improvisation – und hier haben wir mit unserer eigenen Reihe nets-loops-cells einen besonderen Raum für spontane Klänge geschaffen, genreübergreifende Projekte und performative Ansätze. Ebenso arbeiten wir in interdisziplinären Formaten, wie zum Beispiel in unserer Reihe Pulses & Proteins, die wir 2023 gemeinsam mit dem Skulpturenverein Berlin ins Leben gerufen haben. So bleibt unser kreativer Horizont weit und offen, immer auf der Suche nach neuen, inspirierenden Begegnungen. 

Wie würden Sie, nach all den Jahren, den besonderen Charakter von LUX:NM beschreiben?

Unser Cellist Wolfgang Zamastil (der 2017 viel zu jung und früh verstorben ist) hat den Satz geprägt: „An Charakter mangelt es dem Ensemble jedenfalls nicht“. Damit spielte er lachend auf die willensstarken Persönlichkeiten im Ensemble an. Das wäre im Weitesten der persönliche Charakter.

Musikalisch und künstlerisch sind wir stets auf der Suche. Natürlich ist unser Ensemble durch seine Instrumentalbesetzung eher durch eine starke, voluminöse und fast bandartige Klanglichkeit geprägt. Durch die Vielfarbigkeit des Akkordeons beispielsweise ergibt sich zudem in Kompositionen auch ein fast orchestral anmutender Klang, da die Klangsubstanz sehr dicht sein kann. Aber wir können eben auch die leisen Töne: dieses ganz Feine, die Flexibilität der Klangfarben und das Zarte in der Musik aus unseren unterschiedlichen Instrumentalkombinationen herausholen. Von daher sind wir charakterlich eher ein klangliches Chamäleon als ein genau zu definierender Klangkörper.

Wie hat sich das Ensemble in den letzten 15 Jahren entwickelt?

Wir sind in dem Ensemble nicht in einer klassischen Besetzung gestartet. Das hat sicherlich am Anfang auch Schwierigkeiten bereitet, akzeptiert zu werden. Gerade in den Förderstrukturen hat man vor 15 Jahren doch noch viel traditioneller gedacht. Unsere Besetzung stach damals schon dadurch heraus, dass wir mit dem Saxophon und Akkordeon zwei Instrumente hatten, die eben keine „klassischen“ Instrumente/Orchesterinstrumente waren. Farblich haben wir uns dadurch damals schon sehr abgehoben. Wir haben die Besetzung immer als flexible Instrumentation gedacht und LUX:NM eben auch so gestaltet, dass wir, wenn wir Musiker:innen treffen, die zu uns passen, mit denen wir kammermusikalisch auf einer Wellenlänge liegen, diese mit an Bord holen. Das macht für mich auch die Qualität unseres undirigierten Ensembles aus: ein ähnliches Gefühl für Temporichtungen, Klang, Gestaltung, Phrasierungen und das intensive Zuhören. Dadurch funktioniert das (undirigierte) Ensemble auch bei sehr komplexen Werken.

Letztendlich hat die Besetzung sich durchgesetzt. Es gab viele, die sich dann ähnlich aufgestellt haben, weil es eben auch eine Sache von Zeitgeist ist, dass Klanglichkeiten sich verändern.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Silke sagt häufig, dass sie stolz darauf ist, dass wir eine starke Klanglichkeit geprägt haben, die andere aufgenommen haben und die sich so weiter entwickeln kann. Mich macht es stolz, dass wir uns durchsetzen konnten in der Ensembleszene: wir haben bis zur Auszeichnung unserer Debüt-CD LUXUS (2016) mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik weitgehend ohne kleinere oder größere Förderungen gearbeitet oder vielmehr arbeiten müssen. Aufgrund unserer damaligen medialen Präsenz – so wurde uns dann über den Buschfunk erzählt – habe eine Jury sogar gemeint, dass wir wohl überfördert seien. Das war eine völlig absurde Situation, da wir zu dem Zeitpunkt weitgehend in das Ensemble investiert haben. Wir waren einfach präsent durch unsere Arbeit. Aber wir haben uns mit Qualität und einem ästhetischen Statement durchgesetzt – und wir haben nicht aufgegeben. Denn wir glauben alle daran, dass es sich trotz der Widrigkeiten im Kulturbetrieb lohnt, freiberuflich zu sein, weil man nur so aus dem Kern heraus das realisieren kann, warum man den Beruf eigentlich ergriffen hat. Dass die gesellschaftliche und politische Akzeptanz sowie der Respekt vor der Leistung und dem Beitrag dieses Berufsfeldes in den letzten Jahren deutlich gesunken sind, steht auf einem anderen Blatt. 

Aus welchen Gründen haben Sie diese besondere Zusammenstellung an Komponist:innen und Stücken für Ihr 15-Jahre-Jubiläumskonzert bei Ultraschall Berlin 2025 gewählt?

Im Normalfall spielen wir bei Ultraschall Berlin traditionell nur Uraufführungen, obwohl gerade dieses Festival gar kein Uraufführungsfestival ist. Da ist das Programm dann immer unberechenbar. Dieses Jahr brechen wir zum ersten Mal mit dieser Tradition. Was wir sehr an diesem Festival schätzen, ist die programmatische Ungezwungenheit der Konzerte. Wir wählen hierfür Komponierende aus, mit denen wir gemeinsam etwas gestalten wollen und geben ihnen (im Normalfall) keine thematischen Vorgaben. Denn unserer Meinung nach können Künstler:innen die stärksten Aussagen treffen, wenn man ihnen die Freiheit gibt zu gestalten und nicht, sich in ein thematisches Korsett zu zwängen. Es gibt ein inneres Bedürfnis, aus dem heraus ein künstlerisches Werk entsteht. Heutzutage wird sehr viel über die gesellschaftliche Relevanz des Kulturbetriebs diskutiert. Kunst kann sehr viel bewirken, wenn man sie lässt, und sie ist im Normalfall weiter, als es die Gesellschaft zu dem Zeitpunkt ist. Denn Künstler:innen haben sehr feine Antennen für Zukünftiges. Heute stellt man leider häufig sehr auf aktuelle gesellschaftliche Fragen ab (und rückt damit Narrative an die Stelle künstlerisch-inhaltlicher Positionen). Dadurch biedert sich die Kunst manchmal sogar fast an, weil sie relevant sein will und Themen bedient. 

Ich persönlich finde sie am relevantesten, wenn sie neue Dinge anstößt, auf die die Gesellschaft noch gar nicht gekommen ist, wenn sie weiterspiegelt und neue Horizonte aufmacht.

Aus dem Grund suchen wir immer nach unterschiedlichen Komponierenden, von denen wir denken, dass sie eine bereichernde Klangsprache für unser Ensemble finden. Ganz klar steht da der Satz: Mit der/dem wollen wir mal etwas zusammen machen. Es ist so simpel, und daraus kann so Gutes entstehen.

Welche Schwerpunkte und dramaturgischen Aspekte wollen sie in Ihrem Konzert bei Ultraschall Berlin zeigen?

Abwechslung und Schlüssigkeit ist in Programmen das beste dramaturgische Konzept, dass man haben kann. Allerdings kennen wir zwei der Werke zum momentanen Zeitpunkt noch gar nicht. Das ist doch toll, oder? Auch für uns bleibt es teilweise eine Überraschung. Und wir lieben Überraschungen zum neuen Jahr: vor allem, wenn sie positiv sind.

Und was wünschen Sie sich bei LUX:NM für die Zukunft?

Wir wünschen uns, dass wir unsere Arbeit, die wir uns in vielen Jahren aufgebaut haben, fortsetzen können und dass die Arbeitsbedingungen für Freie Ensembles besser werden. Dass wir auf Kontinuität setzen können und nicht immer nur in kurzen Schritten denken müssen. 

(Interview: Ecki Ramón Weber)