Geheimnisvolle Kameraeinstellungen, düster vernebelte Szenen, eine unübersichtliche Schlossanlage, mit Statuen ägyptischer Katzen, gotischen Fensterbögen, Fassaden asiatischer Tempel und Kanälen mit venezianischen Gondeln: »Xanadu«, so lautet der Name des überladenen, in einem aberwitzigen Stilmix aller Epochen und Weltregionen ausgestatteten, protzigen schlossartigen Anwesen im Hollywood-Klassisker Citizen Kane von Orson Welles.
Philippe Manoury wurde für sein Duo Xanadu für Sopran und Klarinette 1989 von diesem Film angeregt. Dies hat er in einem Kommentar zu seinem Stück erläutert: »Die Idee kam mir, als ich anfing an meiner Oper Sorwel zu arbeiten, deren Libretto in einer ersten Fassung eine entfernte Adaption von Orson Welles‘ Citizen Kane darstellte«. Sorwel blieb als Kompositionsprojekt unvollendet, 1994 hat Philippe Manoury aus Material zu diesem Vorhaben eine Opernsuite für zwei Sänger und großes Orchester erstellt, die 1995 in Paris uraufgeführt wurde.
Der Name Xanadu geht zurück auf die sagenhafte Residenzstadt Schangdu des Mongolenherrschers Kublai Khan aus dem 13. Jahrhundert, der Kaiser von China wurde und eine eigene Dynastie begründete. Das Schloss des Kublai Khan in Schangdu ist Gegenstand im 1816 entstandenen Gedicht Kublai Khan des britischen Dichters Samuel Taylor Colerdige. Es beginnt in deutscher Übersetzung mit den Versen »In Xanadu schuf Kubla Khan / Ein Lustschloss, stolz und kuppelschwer: / Wo Alph, der Fluss des Heiles, rann / Durch Höhlen, die kein Mensch ermessen kann / In sonnenloses Meer«. Ein mysteriöses Schloss wird hier geschildert mit uralten Bäumen und berauschend duftenden Blüten. Aber es ist »ein wilder Ort! So heilig wie verzaubert«, denn eine klagende Frau wartet sehnsüchtig auf ihren dämonischen Liebhaber, Flüsse gehen über ihre Ufer, Kublai Khan hört die Stimmen der Ahnen, die Krieg voraussagen. Xanadu erweist sich als »sonniger Palast der Freuden mit Höhlen aus Eis«.
Philippe Manoury hat dieses Gedicht in seinem Stück Xanadu für den Sopranpart herangezogen. »Der Text von Coleridge wird tatsächlich zu Beginn des Films evoziert«, so der Eindruck des Komponisten, »und als ich diesen Text schließlich nicht für die Oper brauchte, habe ich mich entschieden, ihn in einer kleineren, konzentrierten Ausprägung einzusetzen, die nur zwei Interpreten vorsieht. Die künstlerische Herausforderung für mich bestand gerade darin, den Inhalt des Textes – eine schwülstige Angelegenheit ganz nach meinem Geschmack, überladen mit üppigem Symbolismus – mittels musikalischer Verknappung aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die musikalische Schreibweise ist nun zwar nicht jenseits jeglicher Virtuosität, ganz im Gegenteil, aber zwei Interpret*innen können natürlich nicht mit der Üppigkeit eines großen Orchesters konkurrieren. Das musikalische Resultat versucht eher den Verlauf einer Erzählung wiederzugeben. Der Klarinettenpart illustriert nicht die Bilder, die im Gedicht transportiert werden, sondern begleitet eher den Vortrag der Sopranstimme, die eine Geschichte zu erzählen scheint. Die Klarinette ist hier auf gewisse Weise eine Doppelgängerin.« Allerdings beginnt die erwähnte »Doppelgängerin« zunächst solistisch in opulent perlenden, sich aus der Tiefe hervorschraubenden Drehbewegungen, bevor der Sopran beginnt. Und zwischendurch setzt die Klarinette zudem immer kommentierend mit schnellen, üppig verlaufenden Läufen und Drehbewegungen ein. Wenn dies eine bloße Begleitung des Gesangs ist, dann eine, die sehr expressiv und sehr extravagant ausfällt.
Eckhard Weber