Komponieren ist für Peter Ruzicka ein über längere Zeiträume reflektiertes, sensibles, tiefes Nachspüren, eine geradezu existenzielle Auseinandersetzung, in vielen Fällen inhaltlich verknüpft mit den Unwägbarkeiten der Conditio humana. Der Komponist schreibt in einem Ernst und in einer Haltung seine Werke, die geradezu bekenntnishaft zu nennen sind, um dieses etwas aus der Mode gekommene Attribut zu benutzen. Gerade mit diesem Ernst nimmt er auch dezidiert eine Position gegen die spielerischen Beliebigkeiten der Postmoderne ein und gegen die „verheerende Wirkung heutiger Oberflächen- und Spaßkultur, die ganzen Generationen die Fähigkeit zum aufmerksamen Zuhören, überhaupt zur Kunsterfahrung versperrt“, wie Peter Ruzicka dies in einem Zeitungsinterview vor einigen Jahren erklärte, um daraus resultierend seine Forderung geltend zu machen: „Umso weniger dürfen wir in der künstlerischen Entfaltung von ästhetischer Wahrheit nachlassen. Und hier sollte die Neue Musik auch künftig ihren Ort behaupten.“ Diese Aussage kann als eine wesentliche Motivation für Peter Ruzickas kompositorisches Schaffen betrachtet werden. Konsequenz und tiefe Ernsthaftigkeit bestimmen den kreativen Prozess bei ihm. Relativ spät in seiner Karriere, erst nach rund 30 Jahren Erfahrung als Komponist, hat er sich dem Musiktheater zugewandt: Seine Oper Celan auf ein Libretto von Peter Mussbach, 2001 an der Dresdner Semperoper uraufgeführt, behandelt multiperspektivisch das Leben und das Werk des Dichters Paul Celan sowie die damit verbundenen Fragen nach der Auseinandersetzung mit der Shoa. Im Zusammenhang mit Celan stehen die Orchesterwerke Recherche (- im Innersten) für Chor und Orchester (1998), die Orchesterwerke „…Vorgefühle …“ (1998) und Nachklang, Spiegel (1999) sowie die 2003 in Hamburg uraufgeführte Celan Symphonie – als Annäherung im Vorfeld und als Verarbeitung und Reflektion im Nachgang. Auch hier zeigt sich die Ernsthaftigkeit von Peter Ruzicka, der eine Fragestellung, einen bestimmten Themenkomplex, über Jahre untersucht – in Form von musikalischen Annäherungen, Einübungen, Einstimmungen und nachträglichen Reflektionen.
Ähnlich ging der Komponist auch bei seiner Oper Hölderlin, die 2008 an der Berliner Staatsoper uraufgeführt wurde, vor: Sein Streichquartett Nr. 6 mit Sopran mit dem Titel Erinnerung und Vergessen, das Hölderlins Text Mnemosyne als Ausgangspunkt hat, sowie das Werk & INS OFFENE & für 22 Streicher (2005), das Klavierstück Parergon (2007), „… und möchtet ihr an mich die Hände legen …“ für Bariton und Klavier, 2007 im Tübinger Hölderlin-Turm uraufgeführt, und schließlich die 2010 in Peking uraufgeführte Hölderlin Symphonie stehen alle in einem Bezug mit Hölderlin.
Als aktuelles Musiktheaterprojekt hat Peter Ruzicka ein Werk in Planung, das sich dem Philosophen Walter Benjamin widmen wird. Auch diesem Projekt nähert er sich komponierend, zunächst mit seinem Orchesterwerk Flucht, zu dem er bereits erklärt hat: „Mein Orchesterwerk Flucht steht in initialem Zusammenhang mit einem im Entstehen begriffenen Musiktheater über Walter Benjamin. Wie schon vor der Komposition meiner beiden früheren Opern Flucht und Hölderlin habe ich auch hier versucht, in Gestalt eines reinen Orchesterwerkes den spezifischen ›Ton‹ zu beschreiben, der für die spätere Opernpartitur bestimmend sein wird. Und dabei weist das musikalische Material auf einige neue Wege, die für meine kompositorische Arbeit bedeutungsvoll sein mögen.
Das Stück zeichnet kein inneres Programm und ist – wie auch die Oper – nicht eigentlich ein Werk ›über‹ oder ›mit‹ Benjamin, sondern ›aufgrund von Benjamin‹ sein, dessen rastloses Reisen hier selbst Klang werden soll. Dabei mag man der Partitur wohl etwas von der hermetisch-mystischen Tiefe vieler seiner Texte abspüren, auch etwas von der Diskontinuität seines Denkens. Und man wird auch von dem von Depression und Vereinsamung heimgesuchten Walter Benjamin erfahren. Die musikalische Gestik erscheint also als eine ›Reise ins Innere‹“
Eckhard Weber