Oxana Omelchuk: Memories. Tape I

(2023) 20‘ – für Ensemble und Zuspielungen

  1. Die Blaskapelle 
  2. Musik auf Linealen
  3. Das Meer
  4. Der Pianist
  5. Das Haus

„Der Mensch im Exil empfindet den Zustand des Exils als eine ständige, besondere Empfindlichkeit für Geräusche“ 

Dubravka Urgesíc

Das Stück ist ein Versuch, die akustische Kulisse meiner Kindheit aus den Erinnerungen zu rekonstruieren und auf das Ensemble zu übertragen.
Meine Tagebücher dienen mir als Vorlage.

Oxana Omelchuk

I. Die Blaskapelle 

„Und diese Blaskapelle, die die Beerdigungsprozession begleitet hat. Das ‚Orchester‘ bestand aus leicht alkoholisierten Blechbläsern, die so schief spielten, dass das schon wieder schön und sehr berührend war, die sich nur danach sehnten, eine kleine Belohnung in Form einer Teilnahme an der Trauerfeier zu bekommen, damit sie ihren Kater mit paar Gläser Wodka heilen konnten … Alles so düster und ausweglos.“

II. Musik auf Linealen

„Die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, war hauptsächlich klassisch. Meine erste Begegnung mit Pop-/Rockmusik war visuell. Mein Bruder ‚verzierte‘ die Lineale in der Schule mit den Namen verschiedener Bands: Duran Duran, Metallica, Motörhead, Pet Shop Boys; ich las die Bandnamen und versuchte mir vorzustellen, wie ihre Musik klang.“ 

III. Das Meer

„Am Meer war ich als Kind nur einmal. Ich war 11 oder 12 Jahre alt. Es war in der Ukraine, in der Nähe von Odessa. Wir waren zu zweit da: Meine Mutter und ich; für den Urlaub zur viert hat das Geld nicht gereicht. 

Ich erinnere mich an die kalten Duschen draußen, an das sehr bescheidene Zimmer, an ungewöhnliches Essen, was mir kaum schmeckte, weil ich vor allem Kartoffeln gerne aß und die nicht oft auf der Speisekarte waren.

Ich erinnere mich an das ewige Baden, an dieses ‚Baden Nimmersatt‘, das immer mit einem Streit mit meiner Mutter endete, weil sie mich nicht aus dem Wasser rausholen konnte.

IV. Der Pianist

„Der Pianist war amüsant: Fachlich mittelmäßig, aber mit allen Attributen eines typischen Opernkorrepetitors ‚bewaffnet‘.

Besonders rührend war, wie auffallend er der umblätternden Dame zunickte, aber sie blätterte trotzdem an falschen Stellen um, und er war im Stillen empört, spielte aber beherzt weiter.“

V. Das Haus

„Die Reise zur Oma dauerte ewig, obwohl das Dorf ca. 300 km von meiner Stadt entfernt war. Wir starteten und beendeten die Reise im Dunkeln. Wir fuhren mit mehreren, meistens überfüllten Bussen dorthin. Es kam auch vor, dass wir einen Bus nicht bekommen haben und mussten in einem seltsamen Hotel übernachten. Wir hatten eben kein Auto, mit dem die Reise komfortabler und schneller gewesen wäre.

Die Freude des endlichen Ankommens war aber unbeschreiblich. Das Schönste und Unglaublichste war aber, dass mein Hund Bim uns von ganz weit kommen hörte und bellte in die Nacht, und dieses Begrüßungsbellen war die schönste Musik, die ich jemals hörte.“

Oxana Omelchuk

„Sie sollen aufeinander hören“
Ein Interview mit Oxana Omelchuk über ihr Stück Memories. Tape 1

Oxana Omelchuk, um welche Memories handelt es sich in Ihrem Stück?

Es sind meine Kindheitserinnerungen.

Wie interagieren darin die Instrumente?

Es sind sehr verschiedene Arten der Interaktion: manchmal verschmelzen die Instrumentenfarben in einem homogenen Klang, sehr oft aber bilden verschiedene Instrumente selbständige Schichten/Layers, und ich spiele mit dem Kontrast, der daraus resultiert.

„Tape“ weist auf Zuspiel hin – in welchem Verhältnis steht dieses zu den Instrumenten?

Eigentlich habe ich mit dem „Tape“ die Audio-Aufzeichnungen meiner Tagebücher gemeint (ich versuche seit kurzem, meine Tagebücher aufzunehmen). Die Memoiren, die ich im Stück vertone, stammen aus der Sammlung „Tape 1“. Allerdings kommen im Stück zwei Playbacks vor, ihre Aufgabe ist, die Stimmung/Situation, die in der Musik entsteht, zu verstärken.

Was war der Anstoß für Ihr Stück?

In einem früheren Stück (Oliveros Schafe, eine Kurzoper nach autobiografischen Skizzen, Uraufführung: taschenopernfestival Salzburg, 2023) habe ich versucht, „ein Bild von mir selbst zu erstellen“, meiner eigenen Identität nachzugehen. Diese Idee wird in Memories weiterverfolgt.

Worauf sollten die Musizierenden idealerweise bei diesem Stück besonders achten?

Sie sollen aufeinander hören.

Was mögen Sie besonders an LUX:NM?

Ein perfektes Zusammenspiel, Texttreue (Notentext), aber auch eigene Interpretation des Materials.

(Interview: Ecki Ramón Weber)