Nach zwei ersten Orchesterwerken, einem 2010 für die Philharmonique de Radio France geschriebenen (das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin präsentierte 2011 eine kürzere Neufassung im Rahmen von Ultraschall Berlin) und dem Doppelkonzert für Sabine Meyer und ihren Bruder Wolfgang mit dem Gewandhausorchester Leipzig 2013, gab es 2016 die Chance, einen notwendigen Neuanfang zu suchen und sich in das Sinfonieorchester als Bedeutungsraum zu wagen. Das geschah in Form eines von der Kunst der Rhetorik geprägten Orchesterzyklus, in dem Exordium als Ouvertüre steht. Die Folgestücke sind Inventio, das 2017 vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks uraufgeführt wurde, und 6db, ein Konzert für sechs Kontrabässe, das 2021 von der Philarmonique de Radio France uraufgeführt wurde.
Warum die Kunst der Rhetorik? Weil in Zeiten erheblicher kultureller und politischer Polarisierung, in denen rüpelhafter Populismus und ›deep fakes‹ die Wahrnehmung unserer Sinne ebenso zu untergraben und zu bedrohen scheinen wie den sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand, die Wiederentdeckung der Faktizität eines Diskurses, die mögliche Transparenz der Kunst, Gedanken und Ideen zu vermitteln, mir ein notwendiges Unterfangen, ein moralischer Imperativ zu sein scheint, den ich als Kreativer wie als Bürger verfolgen muss. Man kann über die Moral der Rhetorik streiten, die manchmal missbraucht wird, um eine These gegen eine andere zu unterstützen. Doch das wirkliche Interesse an solchen Künsten, an der Kunst der Rhetorik, liegt in dem, was sie verlangt: nämlich die Entwicklung eines kritischen Sinns, der notwendig ist, um Botschaften jeder Art zu erstellen, zu verstehen und zu begreifen.
Oscar Bianchi