für Orchester (2016)
Intensiv oszillierende oder dichte Klangflächen und kräftige Gesten werden in ihren Werken stetig modifiziert, umgearbeitet, destabilisiert, demontiert. Implosionen, Eruptionen, überraschende Brüche, Kontraste und Verschmelzungen – das sind einige der Strategien im Schaffen der Berliner Komponistin Milica Dordjević. 2020 wurde ihr der Claudio-Abbado-Kompositionspreis der Berliner Philharmoniker verliehen. Ihre Werke geraten zu ausgefeilten Klanginszenierungen, die eine ungeheure dramatische Wucht entfalten, auch tief berühren können und in ihren Bann ziehen.
Milica Djordjević hat in ihrer Geburtsstadt Belgrad ein Kompositionsstudium mit zusätzlichen Kursen in elekroakustischer Musik sowie eine Tontechnikausbildung absolviert. Mit Studien bei Ivan Fedele in Strasburg, am Pariser IRCAM sowie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin bei Hannspeter Kyburz komplettierte sie ihre Ausbildung. Sie ist zudem als Pianistin hervorgetreten und hat Arbeiten als Theaterregisseurin vorgelegt. Milica Djordjević hegt zudem eine große Leidenschaft für Naturwissenschaften, für das Abitur hat sie sich einst auf Physik spezialisiert, und sie liebt die Malerei. Diese beiden Vorlieben, für naturwissenschafte Fragestellungen und Bildeindrücke, verbinden sich in Milica Djordjevićs Orchesterstück Quicksilver. Es wurde im Dezember 2016 in der Reihe „musica viva“ vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Peter Rundel zur Uraufführung gebracht.
Gewöhnlich wähle sie den Titel für ein Werk immer am Ende des Kompositionsprozesses, nur bei Quicksilver sei dies nicht so gewesen, erklärte Milica Djordjević bei einem Interview vor der Münchner Uraufführung. Am Anfang stand die Vorstellung von Quecksilber, so die Komponistin: „Die ersten Assoziationen damit für mich sind Farbe und Beweglichkeit. Glänzend ist das und so, einfach schön zu sehen. Und dann habe ich dieses Video auf Youtube gesehen, wie Gold mit Hilfe von Quecksilber extrahiert wird. Das ist Wahnsinn. Da hast du diese ganz feinen Goldbätter und dann, wenn du dort nur einige Tropfen Quecksilber dazu gibst, dann löst sich das Gold im Quecksilber auf… “ Wie Milica Djordjević diese Bildeindrücke in Klänge überträgt, hat sie damals ebenfalls erläutert: „Also in diesem Stück spielte ich mit diesen Eigenschaften, mit glänzenden, schimmernden Farben, mit Reflexionen, mit der Beweglichkeit und Geschwindigkeit dieses Elements (trotz seiner Dichte) und auch mit dieser Toxizität. Mich fasziniert die wunderschöne Form, wenn Quecksilber brodelt, siedet. So verwandelt sich die Musik von glänzenden zerbrechlichen Klängen zu einer dichten, schweren und aufgeladenen Klangexplosion.“
Am Anfang von Milica Djordjevićs Orchesterwerk Quicksilver stehen gleißend flirrende Streicher und metallene Farbwerte, in die allmählich dunkle Schichten eindringen. In dieser Musik ist der orchestrale Gesamtklang die Summe aus feinsten, minutiös abgestimmten Partikeln. Milica Djordjević macht das Orchester zu einem riesigen Schwarm, der sich zwischendurch gemeinsam zu mächtigen Akzentschlägen sammelt. Im gesamten Verlauf von Quicksilver ist eine differenzierte Transformation zu bemerken. In der ersten Hälfte dominieren vor allem die Streicher, in der zweiten Hälfte rücken die Bläsersektionen mit prägnanten Einsätzen klanglich immer stärker in den Vordergrund. Das wiederkehrende rhythmische Pulsieren im Orchester wird gleichzeitig zunehmend markanter. Am Ende kehren jene quecksilbrigen Streicherbewegungen zurück, die am Anfang des Stücks aufhorchen ließen, jedoch ebenfalls verwandelt, mit versärkt geräuschhaften Reibeklängen und neuartigen Holzbläsereinfärbungen. Quicksilver ist ein weiteres Werk von Milica Djordjević, das es vermag, mit einem klug gesetzten dramatischen Verlauf, wo jeder einzelne Abschnitt geradezu zwingend den anderen bedingt, in seinen Bann zu ziehen.
Eckhard Weber