Eine Komposition, in der die Sänger ebenfalls spezielle Positionen im Raum einnehmen, ist Michael Beils Die Drei. Hier sind die sechs Sänger unterteilt in zwei Subgruppen zu je drei Personen. Ein leichter räumlicher Abstand trennt beide Trios voneinander. Gleichzeitig ergeben sich im Laufe des Stückes regelmäßig Zweierkonstellationen, bei denen die von einem Paar gesungenen Melodien von einem anderen Paar imitiert werden. Diese Dreiteilung spielt allerdings nicht nur auf der Ebene der Stimmbehandlung eine Rolle. Auch die formale Konzeption folgt dem Modell des Drittelns: »Alle formalen Komponenten«, so Michael Beil, »bestehen aus drei Teilen. Es beginnt mit Gruppen zu je drei Tönen, die sich dann zu dreimal drei solchen Gruppen zusammenfügen, bis am Ende drei formale Blöcke entstehen. Die Form ist damit recht streng ›fraktal‹ bzw. selbstähnlich gehalten.«
Auch der Text des Stückes – mit Satzbauten aus dreimal drei Silben – folgt der Idee des Fraktals: einem Modell, bei dem das große Ganze seinen (kleineren) Bestandteilen gleicht – ganz ähnlich wie bei einem Romanesco-Blumenkohl. Zudem setzen sich die Textbausteine aus drei verschiedenen Sprachen zusammen. Diese Maßnahme ergriff der Komponist, um möglichst verschiedene Timbres im Gesang zu erzielen. Der semantische Inhalt ist hier also wesentlich weniger bedeutsam als die reine Klanglichkeit der Sprache.
Bemerkenswert ist, dass Die Drei – abgesehen von einem Stück für Jugendorchester – Michael Beils einzige Komposition ohne Elektronik ist. Und dennoch fällt das Stück keineswegs aus dem Rahmen. Denn obwohl Live-Elektronik und -Video zentrale Bestandteile von Beils Ästhetik sind, vermeidet er konsequent die Klangveränderung bzw. das Arbeiten mit Verfremdungseffekten. Typisch für seinen Ansatz ist vielmehr das Aufzeichnen und unmittelbare Wiederabspielen von Instrumentalklängen und Spielgesten der Musiker. Hierbei entwickeln sich komplexe Polyphonien aus vielfach verdoppelten (oder auch rückwärts wiedergegebenen) Bühnenaktionen. In gewisser Weise geschieht in Die Drei das gleiche – nur ohne elektronische Medien. Denn durch die ausgesprochen hohe Geschwindigkeit der sängerischen Imitationen stellen sich immer wieder Echoeffekte ein, die die Sängerpaare zu ihren jeweiligen Doppelgängern werden lassen.