Er schreibe »eine Musik, in der sich Kalkül und Risiko präzise ausbalanciert die Waage halten«, hat Wolfgang Rihm seinem Schüler Márton Illés einmal bescheinigt – und damit dessen Musik genau beschrieben. Der 42-jährige Komponist arbeitet mit größter Akkuratesse, um gerade daraus immer wieder Momente purer energetischer Entladung zu erzeugen, die sich der (emotionalen) Kontrolle letztlich entziehen. Von der künstlerischen Offenheit Illés’ künden auch viele seiner Werktitel. ›Scene polidemensionali‹ ist ein Werkzyklus überschrieben, und in so manchem Werk taucht das ungarische Wort ›ter‹ (Raum) auf. Márton Illés denkt in Möglichkeiten und Räumen, die er mit Fantasie und Subtilität zu füllen versteht. Eine weitere Serie trägt den Titel ›Rajzok‹, das ungarische Wort für ›Zeichnungen‹. Vier solcher ›Zeichnungen‹ hat Illés schon geschrieben, für denkbar unterschiedliche Besetzungen: vom Streichorchester über ein Klavierkonzert mit großem symphonischem Orchesterapparat bis zum Streichquartett. Nun ist eine weitere Folge von ›Zeichnungen‹ entstanden, dem Ensemble ascolta auf den Leib geschrieben. »Es ist eine Faszination und gleichzeitig eine große Herausforderung «, so Illés, »für die ungewöhnlich-originelle Besetzung des Ensemble ascolta zu komponieren. Die besonders heterogene Instrumentenkonstellation verunsichert viele, über mehrere Jahre aufgebaute kompositorische Reflexe, die beim Arbeiten an einem Streichquartett, einem Symphonieorchester oder an einem ›üblich‹ besetzten Ensemble die zuverlässige Vorstellung von Texturdichte, Klangmischungen und Dynamik erleichtern. Und ausgerechnet diese Unsicherheit begünstigt es, zu ungewöhnlichen Klangkombinationen und Materialien zu gelangen.« Mit seiner geradezu exzentrischen Besetzung aus zwei Blechbläsern, zwei Schlagzeugern, (E-)Gitarre, Violoncello und Klavier bietet ascolta einem Komponisten in der Tat so gut wie keine historischen Anknüpfungspunkte, aber dafür jede Menge Spiel-Raum und polydimensionale klangliche Möglichkeiten. Eine Besetzung, wie geschaffen für Márton Illés.
Insofern ist es durchaus eine Überraschung, dass Illés in seinem neuen Werk, das bei Ultraschall Berlin seine Uraufführung erlebt, diesen Klang-Raum zunächst einmal stark begrenzt. »Das Ensemble ascolta ist berühmt dafür, mit einer grenzenlosen Offenheit und Experimentierfreude neue Werke zu erarbeiten. Somit lässt sich ein alter Traum von mir verwirklichen: intensive, gleichzeitig mehrere Musiker beschäftigende Klangaktionen im Flügelinneren durchzuführen. « Vier der sieben Musiker agieren anfangs im Innenraum des Flügels, zupfen auf unterschiedlichste Weise an den präparierten Klaviersaiten herum, nur Trompeter, Posaunist und Cellist spielen ihre ›eigenen‹ Instrumente. Bald wechseln aber auch sie zum Inside- Piano und lösen dort den Gitarristen und einen der Schlagzeuger ab. Zunächst einmal ›die Räume eng zu machen‹, ist aber nicht nur im Fußball eine geschickte Taktik. Das Inside-Piano mit seinem Nuancenreichtum ist sozusagen der klangliche Nukleus, aus dem heraus die einzelnen Instrumente sich allmählich ihren jeweiligen Freiraum erspielen, immer eng aufeinander bezogen. »Schlägel, die einen dem gedämpften Klavier und der Gitarre ähnlichen Klang hervorbringen« verlangt Illés an einer Stelle im Schlagzeug, und von der Gitarre eine Spielweise, »dem gedämpften, trockenen Klavierklang ähnlich«. Aus diesen subtilen Übergängen entfaltet sich immer stärker ein farbenreiches, ›polydimensionales‹ Spektrum. »Es erklingen zudem Schlagzeuginstrumente, die eigens vom Ensemble hergestellt wurden. Holztrommeln in nie gehörten Höhen und sieben Riesen-Chimes lassen dieses besondere Ensemble in magischen Farbkonstellationen flimmern.« Und das geht über eine bloße ›Zeichnung‹ eigentlich weit hinaus.
Rainer Pöllmann