Wenn ich an ein Streichorchester denke, denke ich auch immer an alle Musiker, die nicht hinter dem Streichorchester sitzen – im großen Orchester. Das Streichorchester ist für mich wie die Haut des Orchesters, der erste Zugang, die äußerste Schicht eines Korpus. Deswegen erscheint mir das Streichorchester manchmal wie eine gehäutete Haut einer Schlange, die auf der Straße trocknet oder die trockenen Flügel eines toten Schmetterlings auf dem Dachboden oder auch der Trenchcoat im Schützengraben im ersten Weltkrieg, der über dem verwesten Körper am längsten überlebte – zumindest sichtbar.
In Mantel geht es um Hüllen, zwei Sorten von Schutzhüllen. Zum einen können sie schützend wirken vor Wetter und Klima, zum anderen können sie den eigenen Korpus für die Mitmenschen schützen – den Körper verdecken oder das Innere verhüllen. Der Mantel hat die Eigenschaft, den Körper quasi zu Recht zu stutzen in ein bestimmtes Format. Was darunter ist oder nicht, ist erstmal unsichtbar – Ich sehe einen Mantel. Aber die Möglichkeiten dessen, was darunterliegen könnte, sind unendlich.
Ich denke an verschiedene Stoffe, Stoff-Gewebe, Haut aber auch Knochen und Gerippe. Es scheint immer gleichzeitig etwas zu fehlen. Ich versuche die Hülle, die dort liegt als solche ins Exzessive zu treiben, alle ihre Möglichkeiten nachzufühlen. Die Haut alleine hörbar zu machen und mich nur um die Hülle selbst zu kümmern und die Unvollkommenheit schätzen zu lernen.
Am 14. Dezember 1918 wurde Il tabarro („Der Mantel“) von Giacomo Puccini in New York uraufgeführt.
Lisa Streich
(Text mit freundlicher Genehmigung des Verlags Ricordi)