»Bäume habe ich lieben gelernt, nachdem ich immer wieder und immer stärker ihr Wohltun empfunden habe. Es wuchs in mir eine Sehnsucht, sie zu umarmen, sie zu beobachten, mich auch durch sie wahrzunehmen«, schreibt Konstantia Gourzi in einem Kommentar zu ihrem neuen Solowerk für Viola und Bordun messages between the trees, das sie für Nils Mönkemeyer geschrieben hat. Der Blick der Künstlerin auf die Natur – eine so zeitgemäße wie dringend notwendige Perspektive. Denn es geht nicht mehr, wie in früheren Generationen um romantische Verklärung oder um einen atmosphärischen Hintergrund, um ein Requisit zur Inszenierung des Homo sapiens. Heute geht es um die Hinwendung zur Natur auf Augenhöhe, mit dem Wissen um die Brisanz der Umweltsituation auf dieser Welt. In mehreren Werken hat sich Constantia Gourzi bislang mit dem Themenkomplex beschäftigt, sie betrachtet diese Stücke als »Reflexion und Appell für einen achtsamen Umgang mit der Natur, die uns den Weg des gemeinsamen Lebens seit ewigen Zeiten zeigt«.
Wo immer sie sei und wann immer sie es könne, suche sie das Grün, erzählt die Komponistin im Interview mit Ultraschall Berlin: sei es in München, wo sie regelmäßig zu den Bäumen im Englischen Garten geht oder auf der griechischen Insel Ägina mit ihren Pinien. »Ich beobachte die Natur schon seit vielen Jahren intensiv, wie eine Biene sich auf einer Blüte bewegt oder wie ein Blatt durch die Luft schwebt.“ Wie viele Menschen hat auch Constantia Gourzi das Buch Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben sehr beeindruckt. Der Autor legt die Kommunikation von Bäumen dar, wie gegenseitiger Nährstoffaustausch über die Wurzelsysteme verläuft und wie über Duftstoffe Warnungen vor Schädlingen ausgesendet werden. »Nach der Lektüre war ich noch mehr sensiblisiert«, erklärt Constantia Gourzi im Interview. Daraus erwuchs das Bedürfnis, Werke »für die Natur« zu schreiben, »aus Respekt, aus der Bewunderung heraus und als Appell, dieses Geschenk nicht leichtfertig und unwiderbringlich zu zerstören.« Die Komponistin vertraut auf die Fähigkeit des Menschen zur Einsicht und auf die visionäre Kraft von Kunst: »Ich finde, die Musik ist auch dazu da, um uns Denkanstöße zu geben.«
In seinen Strukturen orientiert sich messages between tress für Viola solo an Prozessen von Kreisläufen in der Natur, etwa in einem intakten Wald. Der musikalische Materialvorrat und seine Ausprägungen stellen ein »geschlossenes System« dar, so Constantia Gourzi. »Nichts geht verloren von der Energie, die eingebracht wird.« Ein Prinzip, von dem die menschliche Zivilisation noch eine Menge lernen kann. Die formale Konsequenz für messages between trees bedeutet: Das Geschehen vollzieht sich nicht in einer linearen Entwicklung. Constantia Gourzi vergleicht die Materialbehandlung in ihrem Stück mit einer Spirale: » Die Bewegung bleibt stabil, die Varianten sind subtil. Die musikalische Information bleibt grundsätzlich gleich«, erklärt die Komponistin im Interview. Die Proportionen der Strukturen basieren in ihren Verhältnissen zueinander auf einer individuellen Anwendung des Goldenen Schnitts, jener Proportionierung, die etwa in der Mathematik, Kunst und Architektur eine lange Tradition hat. Diese Proportionierung, bei der das Verhältnis des Ganzen zu seinem größeren Teil gleich mit dem Verhältnis des größeren Teils zum kleineren Teil ist, gilt als ideal. Auch in der Natur, etwa in der Anordnung von Blättern und Blütenständen, ist dies zu entdecken.
Im Klangresultat führt die erwähnte spiralförmige Anlage und das Prinzip des geschlossenen Systems zu einer nahezu durchgehenden Bewegungsmotorik von großer Eindringlichkeit. Ein permanenter Klangfluss in vielfältigen Varianten und Transformationen, der in reichhaltigen Nuancen immer neu wirkt. Aus Trillern entwickeln sich schnelle Umspielungen und Läufe, die rhythmisch komplex differenziert werden. Als strukturelle Kontrastelemente und energetische Gegengewichte zu den energetischen, spiralförmigen Bewegungen in der Melodik treten zwischendurch kurze, aber markante Skalengänge in längeren Werten auf. Das insgesamt feinziselierte Klanggewebe, oft in Intervallen von großen und kleinen Sekunden, entfacht in seiner Bewegungsenergie ein reichhaltiges Spektrum mikrotonaler Klänge. Dies führt durch den Einsatz des Borduns in diesem Stück zu einer reizvollen Verdichtung im Klangraum. Der Bordun, die Quinte e – h, wird als Zuspiel einer vorproduzierten Aufnahme mit der Bratsche eingesetzt. Möglich wäre auch ein Bordun live gespielt von einem weiteren Instrument, etwa einem Cello oder bordunartige Ostinati eines Klaviers. Vor allem die Bewegungsenergie und die fein ausgehörten Klangwerte erfordern eine souveräne Spieltechnik. Doch die Virtuosität dieses Stücks stellt sich nicht eitel aus, sondern äußert sich in seiner Eindrücklichkeit, die sich wie von selbst, gewissermaßen »natürlich« ergibt. Wie die Schönheit eines Waldes.
Eckhard Weber