Das Ricercare ist eine alte Form von Instrumentalmusik, etabliert seit der Renaissancezeit. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es – ähnlich einer Fantasie – keinem Formenkorsett unterliegt und sich seine Ausprägung selber ›suchen‹ kann. Ricercare bedeutet im Italienischem auch ›suchen‹. Im Laufe der Zeit prägte sich das stilistische Mittel der melodiösen Nachahmung heraus, was zur Entstehung der Fuge führte. Jonathan Harvey begibt sich in seinem Stück auf die Suche nach einer Melodie. Diese nimmt im letzten Teil des Werkes Gestalt an, nachdem musikalische Partikel und rhythmische Bestandteile aus dem Verlauf des Stückes zusammengefunden haben. Das Werk ist ursprünglich für Trompete geschrieben worden, kann aber von jedem Instrument gespielt werden. Es gibt Versionen für Posaune, Violoncello oder Oboe. Die Fassung für Viola hat Christophe Desjardins zusammen mit Jonathan Harvey entwickelt. Neben dem Instrument selbst kommt auch Elektronik ins Spiel. Sie repräsentiert den imitativen Teil des Ricercare – den Aspekt des Wiederholens. Ein Tape-Delay-System wiederholt kleine Abschnitte dessen, was der Musiker zuvor präsentiert hat – gleich zu Beginn werden Abschnitte aus der ersten Pizzicato-Eröffnung aufgenommen, die dann ihre elektronische Verarbeitung finden. Die Technik ermöglicht damit das Spiel mit sich selbst und dem Erklingen von melodiösen Abschnitten, obwohl der Solist pausiert. So entsteht ein kunstvoller, fugenartiger Unterbau. Nach einigen kurzen Figuren in der Mitte treten die elektronischen Wiederholungen mit halber Geschwindigkeit auf. Das Pizzicato löst sich in Melodie auf, und jede weitere Wiederholung wird deutlich tiefer, immer genau um eine Oktave. Diese Verlangsamung wird so weit erprobt, bis die Tonhöhen bzw. Tontiefen an ihre Grenzen geführt werden. Ein Spiel um sich selbst, das im Rausch tiefster Frequenzen endet, während die Viola ihre letzten Einwände gibt.
Cornelia de Reese