Vor einem Monat wurde an der Wiener Staatsoper Johannes Maria Stauds Oper Die Weiden auf ein Libretto von Durs Grünbein uraufgeführt. Dieses Werk sei entstanden »aus Wut und Abscheu vor dem, was politisch bei uns passiert«, so Staud gegenüber einem Nachrichtenmagazin, »unser aktueller politischer Mainstream liegt inzwischen weit rechts. Und die Kunst hat daran durchaus Anteil.« Er wolle »den salzigen Finger tief in die Wunden bohren«. Die Weiden nach einer Erzählung des britischen Schriftstellers und Theosophen Algernon Blackwood, überträgt die subtile Horrorhandlung der über hundertjährigen Vorlage als Parabel auf die aktuellen politischen Verhältnisse in Österreich und anderswo in Europa, wo rassistische und nationalistische Umtriebe wieder bedrohlich an die Oberfläche kommen. Viele Werke von Johannes Maria Staud entstehen aus solchen konkreten Impulsen, etwa aus der Politik, selbst aus der Botanik und immer wieder auch aus den übrigen Künsten, Film, bildender Kunst und Literatur. Doch schon früh hat Johannes Maria Staud klargestellt, dass er keinesfalls diese äußeren Anregungen musikalisch illustriert oder programmatisch beleuchtet: »Das Komponieren selbst, ein Prozess der Abstraktion in ein eigengesetzliches Modell, transformiert auch noch den konkretesten äußeren Impuls so lange, bis er als solcher gar nicht mehr wahrnehmbar ist.«
Sein Stück Wheat, not oats, dear. I’m afraid wurde vom ensemble recherche im Rahmen des Festivals steirischer herbst in Graz in der Reihe ORF musikprotokoll uraufgeführt. Der Titel ist ein Vers aus dem Gedicht Letter to N.Y der Lyrikerin und Schriftstellerin Elizabeth Bishop (1911–1979). Darin wird in der Erzählhaltung eines Briefs eine Beziehung umrissen. Eine wesentliche Metapher des Texts ist der Weizen, der mit Hafer verglichen wird. In der letzten Strophe heißt es: »– Wheat, not oats, dear. I’m afraid / if it’s wheat it’s none of your sowing, / nevertheless I’d like to know / what you are doing and where you are going.« Weizen hat einen dunkleren Farbton als Hafer. Womöglich war dies ein Ansatzpunkt für Stauds Werk, das die tiefen Register und verschattete Klänge bevorzugt, was sich bereits in der Besetzung mit Bassflöte und Bassklarinette im Ensemble zeigt. Viele der ausgeweiteten Spieltechniken, die Staud vorschreibt, führen zum Abdämpfen der Klänge, etwa in den Streichern. Aber auch das Schlagzeug wird klanglich abgedunkelt, das Marimbaphon etwa mit hölzernem Reibestab gespielt, die Chinesischen Becken an der Kuppe, die Große Trommel am Rand. Gleichzeitig kommt Vokales ins Instrumentale, wenn die Instrumentalisten Vokale und Konsonanten »stimmlos geflüstert« in ihr Spiel einbringen. Demgegenüber gibt es zwischendurch vollklingende Einsätze der Solisten. Dies somit als der hellere »Hafer« gegenüber dem »Weizen« aus der Gedichtvorlage?
Eckhard Weber