Wenige Jahre vor Beginn der Arbeit an seinem Trio durchlebte Isang Yun die schlimmste Zeit seines Lebens: 1967 gerät er in die Fronten des Kalten Krieges. Er und seine Frau Soo-Ja Yun werden in West-Berlin in eine Falle gelockt und vom südkoreanischen Geheimdienst KCIA über Bonn und Hamburg nach Südkorea entführt. Dort wirft man Isang Yun vor, ein kommunistischer Spion zu sein, weil er 1963 an einer von der DDR aus organisierten Studienreise nach Nordkorea teilnahm. Der Komponist wird in Südkorea inhaftiert und gefoltert. Erst nach internationalen Protesten, an denen sich auch sein Lehrer Boris Blacher beteiligt, sowie durch das Einwirken des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland kommt Isang Yun 1969 frei und kann nach Deutschland zurückkehren.
Als er 1956 mit 39 Jahren nach Europa kam, war der in der südkoreanischen Hafenstadt Tong Yong (heute Chung Mu) geborene Isang Yun bereits ein gestandener Komponist und Lehrer. Mit dem Preisgeld des im Jahr zuvor gewonnenen Kulturpreises der Stadt Seoul machte er sich auf die Reise nach Paris. Künstlerische Neugierde und Wissensdurst waren es, die Isang Yun veranlassten, in Europa die westliche Musik seiner Zeit vor Ort kennenzulernen. Paris erwies sich für den Komponisten allerdings als künstlerisch unbefriedigend, deshalb ging er 1957 nach West-Berlin. Hier studierte er an der Hochschule für Musik (heute Universität der Künste). Sein Kompositionslehrer war Boris Blacher, der Yun ermutigte, die Traditionen der koreanischen Musik in sein Komponieren einfließen zu lassen. Musiktheorie studierte er beim Schönberg-Schüler Josef Rufer, bei dem er die Zwölftontechnik aus berufener Quelle kennenlernte. Dieser Unterricht stellte Weichen für das zukünftige Schaffen von Isang Yun, das letztendlich eine faszinierende Quadratur des Kreises darstellt: In reihentechnisch geprägten Klangfeldern werden mit sogenannten Haupttönen Gravitationszentren auf unterschiedliche Weise bekräftigt.
Isang Yun betrachtete seine Kompositionen als „Versuche, ostasiatische Elemente mit europäischer moderner Technik zu verschmelzen.“ Der Komponist versuchte in seinen Werken eine vom fernöstlichen Musikdenken geprägte Perspektive auf den Einzelton und davon ausgehend auf Klangkombinationen und Intevallschritte zu realsieren. „Man kann unsere Töne mit Pinselstrichen vergleichen im Gegensatz zur Linie eines Zeichenstiftes“, erklärte Isang Yun einmal, „vom Ansatz bis zum Verklingen ist jeder Ton Wandlungen unterworfen, er wird mit Verzierungen, Vorschlägen, Schwebungen, Glissandi und dynamischen Veränderungen ausgestattet; vor allem wird die natürlich Vibration jedes Tones bewusst als Gestaltungsmittel eingesetzt. Die Veränderungen eines Tones in der Tonhöhe werden weniger als melodiebildende Intervalle angesehen als vielmehr in ihrer ornamentalen Funktion und als Teile des Aussdrucksregisters eines und desselben Tones begriffen.“ Darüber hinaus ist Isang Yuns Musik von kontrastierenden Elementen im Sinne einer ausgleichenden Harmonie der Prinzipien Yin und Yang aus dem Taoismus geprägt.
Dies lässt sich auch in seinem Trio für Violine, Cello und Klavier, seiner einzigen Komposition für Klaviertrio, finden. Isang Yun bezeichnete sein Trio einmal als „musikalischen Blumenstrauß für Boris Blacher“. Er hat den ersten Teil anlässlich des siebzigsten Geburtstags seines Lehrers komponiert. Dieser erste Teil wurde im Februar 1973 in der Akademie der Künste am Hanseatenweg in Berlin vom Göbel-Trio uraufgeführt. Den zweiten Teil seines Trios schrieb Isang Yun 1975 zum Gedenken an Boris Blacher, der im Januar des Jahres verstorben war. Das gesamte Werk wurde im Mai 1976 in Mannheim vom Stuttgarter Klaviertrio zur Uraufführung gebracht.
Der 1972 komponierte erste Teil zeigt deutlich die kompositorische Herausarbeitung von Haupt-Tönen und zudem – entsprechend den taoistischen Prinzipien Yin und Yang – zwei Schichten: Sie sind vorwiegend einerseits im Klavier und andererseits in den beiden Streichern angelegt. Zunächst werden Liegeklänge und akkordische Aufwärtsbewegungen in hohen Registern auf diese Weise gegenübergestellt. Im weiteren Verlauf bilden sich weitere Gegensatzpaare: Beispielsweise konturierte Melodielinien in Streichern gegenüber dem Zupfen bisbigliando („füsternd“) von Klaviersaiten im tiefen Register; langsame, in gebundenen Linien fortschreitende Bewegungen in den Streichern gegenüber Akzenten im Klavier; nervöse Aufschwünge in den Streichern gegenüber einer komplexen Akkordschichtung im Klavier; schließlich ein relativ statisches Klangfeld der beiden Streicher gegenüber brüchigen Texturen im Klavier.
Der später enstandene zweite Teil stellt den großformalen Kontrast zu diesem ersten dar: Er ist insgesamt dynamischer und dissonant zugespitzt, mit resoluten Aufwärtsgesten, pulsierenden Akzenten im Klavier und geräuschhaften Bartók-Pizzicati in den Streichern. Strukturelle Gegensätze werden hier kompakter, auf dichtem Raum verhandelt, etwa Triller in den Streichern gegenüber schnellen kreisenden Bewegungen im Klavier.Schließlich kehren die Aufwärtsbewegungen aus dem ersten Teil wieder, ehe sich die Bewegungsenergien dieses Satzes in einem leisen, zurückgenommenen Klangfeld auflösen. Dieses Klangfeld wird in sachten Nuancen mit Liegetönen, später mit aufsteigenden Linen der Streicher und mit Akkorden des Klaviers im sehr leisen Dymanikbereich zunehmend ausdifferenziert – bis sich am Schluss die Kräfte in einem gemeinsamen Haupt-Ton sammeln.
Eckhard Weber