Mein Streichtrio [ist] entstanden am Ende einer Phase, an deren Beginn – nach der Rückkehr von meinem Studienaufenthalt in Venedig bei Luigi Nono – noch die radikal-punktuelle Prägung durch die Praxis und Ästhetik des Seriellen gestanden hatte. Aus solcher technisch-stilistischen Abhängigkeit sich zu lösen, ohne die Substanz des dahinterstehenden Konzepts aufzugeben, nämlich die Reflexion der Mittel als dem eigentlichen Gegenstand des Komponierens, hieß mit dem selbst auferlegten ›Regressionsverbot‹ dialektisch umgehen: Es entstand ein ›a-punktuelles‹ Werk, dessen vorsichtig, noch einmal quasi mit Herzklopfen entwickeltes figuratives Spiel – undenkbar bei meinem Lehrer, weil bei ihm konsequent ›überwunden‹ und weit hinter sich gelassen – sich selber auslöschen sollte. Was ich zuvor nicht gelernt, sondern eher meiden gelernt hatte, wurde hier zugleich beschworen und gebannt. Spätestens bei der Komposition dieses Werkes wurde mir bewusst, dass musikalischer Ausdruck seine Kraft einzig als Ergebnis von Grenzüberschreitung, von Umformung des Materials im Stück selbst bezieht. Im Streichtrio fand dies immerhin auf rudimentäre Weise statt: Das vielfach zu charakteristisch ›erregten‹ Bewegungsfeldern sich zusammenziehende Geschehen zersetzt sich insgesamt; die klingenden Momente versteheen sich mehr und mehr als Ränder von im Zerbröckeln sich öffnenden, quasi ›kahlen‹ Zeiträumen. (Aus deren unberührter Leere heraus hat mein späteres Komponieren seine Visionen entwickelt.)
Helmut Lachenmann (1992)