Mit seiner Musique concrète instrumentale hat Helmut Lachenmann wie kein anderer Komponist ab den 1960er-Jahren gängige Hörgewohnheiten verweigert und unterlaufen. Eines seiner zentralen Werke ist Pression für Violoncello solo, in dem der Spieler auf seinem Instrument keinen einzigen Klang in tradierter Spielweise erzeugt. Die Art der Entstehung der Schallereignisse, so der Komponist, sei mindestens ebenso wichtig wie die akustischen Eigenschaften selbst. Pression ist dabei wörtlich gemeint: Der Musiker soll verschiedene Teile des Instruments und des Bogens drücken, schlagen oder auch streicheln. Saiten werden am freien Schwingen gehindert und abgeklemmt, wodurch der Klang metallischer wird. Zudem wird das gesamte Instrument als Klangquelle entdeckt: die Cello- Decke, der Steg, der Saitenhalter. Auch die Bogenführung wird hierfür neu definiert. »Hören heißt hier auf keinen Fall wieder: zustimmend mitvollziehen«, schreibt Lachenmann in seinem Werkkommentar, »sondern heißt: Rückschlüsse ziehen, umschalten, denken.« Dabei sind diese neuen, bis dahin unerhörten Spielweisen kein Selbstzweck: Klänge oder Geräusche beschreiben spürbar Bedingungen, aber auch Widerstände, unter denen bzw. gegen die Aktionen ausgeführt werden. Helmut Lachenmann hat die Partitur im Laufe der Zeit immer wieder bearbeitet und so auch auf die Erfahrungen bei zahlreichen Aufführungen reagiert. Das Werk hat inzwischen Adaptionen auch für andere Instrumente erfahren. 2010 hat der Posaunist Mike Svoboda eine Fassung für sein Instrument paraphrasiert. Caleb Salgado hat Pression, gleichfalls mit Erlaubnis von Helmut Lachenmann, auf sein Instrument, den Kontrabass, übertragen; und auch wenn der Kontrabass dem Violoncello verwandter ist als die Posaune, so ist auch diese Bearbeitung des Werks, das für die Physis des Violoncellos und eines Cellisten geschrieben wurde, eine abenteuerliche Herausforderung.
Cornelia de Reese