Helga Arias: End run

für Ensemble (2013) 9‘

Das Ensemblewerk End run der aus Bilbao stammenden spanischen Komponistin Helga Ariasa, die heute in der Schweiz lebt, entstand 2013 als Auftragswerk für das Etchings Festival im südfranzösischen Dorf Auvillar. Helga Arias war eine der Residenzkünstler:innen des Etchnigs Festivals, und ihr Stück wurde von einem aus internationalen Solist:innen bestehenden Residenzensemble uraufgeführt. Die Besetzung umfasst Flöte, Klarinette, Harfe, Violine, Cello und Schlagzeug. Das Schlagzeug besteht aus Vibraphon, Glockenspiel, den Scheibenglocken Crotales, Becken, Tam-Tams, Großer Trommel, kleiner Trommel, Triangel sowie einem Rototom, einer modernen Trommel mit Kunststoffbespannung und drehbarem Aluring, was Glissandi im Trommelklang ermöglicht. Aus dieser Mischung entstehen in End run Klanggestalten, die direkt und kurz darauf indirekt gerichtet sind, die ganz nah und wie aus weiter Ferne ertönen, die kurze Idyllen suggerieren und im nächsten Augenblick verstören. Solche Kontraste, solche Antithesen auf engsten Raum, dicht gedrängt, vereinigt End run in sich. Eine Musik, die in jedem Moment überraschen kann und auf diese Weise die Ohren weit öffnet.

Helga Arias, was war die Ausgangsidee für das Ensemblewerk End run

Inspiriert wurde es von der Arbeit mit einfachen Samples, die ich selbst von Celloklängen erstellt habe und die ich dann elektronischen Prozessen unterworfen habe: Filter, Granularsynthese des Klangs und Convolution, eine klangliche »Faltung«, bei der Ein- und Ausklänge vielfältig verändert werden. 

Diese klanglichen Phänomene wurden dann von der Elektronik auf das Zusammenspiel eines Instrumentalensembles übertragen. Welche Prinzipien wurden dafür auf die Strukturen und Texturen der Instrumentalmusik angewendet?

Die Grundidee in End run kann gesehen werden in so etwas wie einer unterbrochenen Linearität oder einem unterbrochenen Diskurs, denn im Stück werden Texturen bzw. diskursive Bögen generiert, die nie zum Ende kommen, sondern permanent von einer neuen Textur oder einem Kontrastelement unterbrochen werden.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Titel End run?

Tatsächlich schwingt im Titel Humor mit. Im American Football ist ein End run ein Laufspielzug, bei dem ein Spieler, der den Ball hat, versucht, ohne angehalten zu werden, also ohne blockiert zu werden, in die gegenerische Endzone zu gelangen. Umgangssprachlich wird dieser Begriff in den USA auch benutzt, wenn jemand versucht, ein Problem zu vermeiden oder sich über Regeln auf heimliche oder unanständige Weise hingwegsetzt.

In welchem Bezug steht dieser Titel konkret zum musikalischen Geschehen in End run?

End run ist als Metapher gemeint für das, was im musikalischen Verlauf in den Instrumenten geschieht. Also, ich meine natürlich nicht, dass die Ensemblemitglieder unanständig sind, ich beziehe mich vielmehr darauf, wie neues Material eingeführt wird und wie dadurch vorheriges Material abgebrochen wird. Mitunter auf unerwartete Weise oder sehr abrupt. 

Wie sind überhaupt die Beziehungen zwischen den Instrumenten in End run

Die Verhältnisse zwischen den Instrumenten ändern sich während des Stücks. Es gibt Passagen, bei denen jedes Instrument eine klar abgrenzbare, eigene instrumentale Linie einbringt und andere Momente, wo die Ensembleinstrumente synchron eingesetzt werden.

Sie haben End run 2013 komponiert. Welchen Bezug haben Sie heute zu dieser Musik?

End run ist ein relativ frühes Stück von mir. Ja, ich habe es vor zehn Jahren während einer Künstlerresidenz komponiert, als ich noch Studentin war. In jenen Jahren war ich sehr davon beeinflusst, dass ich gerade die Elektronik und die Algorithmische Komposition für meine künstlerische Arbeit entdeckt hatte. Ich finde, dass sich gerade die Beschäftigung mit Algorithmen in einigen melodisch-rhythmischen Gestalten des Stücks niedergeschlagen hat, was sogar bis zu einem gewissen Grad die Musik von End run prägt. Auch wenn ich heute nicht mehr so komponiere wie damals, ist es doch sicher, dass mich diese Art des Komponierens stark beeinflusst hat, auch darin, wie ich heute Klangphänomene wahrnehme, bis zu einer Differenzierung des Hörens, die weit über die engen Grenzen unseres traditonellen Notensystems hinausgehen. 

Das ist also eine geradezu mikroskopische Wahrnehmung von Kängen. Was ist nun bei der Interpretation von End run zu beachten?

Ich denke, es ist für die Ensemblemitglieder wichtig, die Individualität jedes einzelnen Instrumentes herauszuarbeiten, aber gleichzeitig darauf zu achten, dass es bestimmte Berührungspunkte zwischen ihnen gibt. Das Stück ist in der Umsetzung eine Art Tour de Force insofern als die Instrumente nur in seltenen Augenblicken zu einer Übereinstimmung oder Einheit gelangen. Und wenn dies schließlich doch erreicht wird, ist das Ganze nicht stabil. Dennoch müssen die Instrumente versuchen, dieses Ziel zu erreichen. 

Im Spanischen gibt es dafür das Sprichwort »Nicht mit dir, nicht ohne dich«.

Was sollte bei der Interpretation von End run unbedingt vermieden werden?

Ich würde sagen, dass ein gewisses Chaos, das sich in einigen Teilen ergibt, akzeptiert werden sollte. Und man sollte sich nicht verrückt machen, alles an den richigen Platz zu bringen, wenn es sinnlos ist. Wie gesagt, dieses Stück enthält Punkte, an denen sich die Instrumente verknüpfen. Auf gewisse Wise stellt sich auf diese Weise ein Eindruck von Ordnung ein. Diese Dychotomie insgesamt ist charakteristisch für End run.

Interview: Eckhard Weber