Uraufführung der Neufassung
Gordon Kampe, „Nicht bestellt“ und „einfach in die Luft komponiert“ haben Sie nach eigenen Angaben Ihren Arien- und Songzyklus O Seufzen, Heulen, Herzensknall für zwei Stimmen und Ensemble. Aber was waren die Impulse für die Komposition?
Ich mag einerseits die Idee von Lieder- oder Songzyklen, Konzeptalben, Orchesterliedern und verwandten Genres. Andererseits habe ich mir in den letzten Jahren (da war kürzlich ja mal etwas, in der plötzlich ein bisschen mehr Zeit war …) haufenweise Bach-Kantaten mehrfach reingezogen. Irgendwann sprach ich beim Abendessen wie Picander – daher die Beschäftigung mit barocker Dichtung. Außerdem finde ich, dass wir ganz dringend mehr Liebeslieder brauchen!
Was hat Sie überrascht während der Arbeit an diesem Zyklus?
Ich habe gefühlt 68.008 barocke Liebesgedichte gelesen. Ich hatte es ja geahnt, aber in einigen geht’s nicht nur metaphorisch-sublimiert, sondern ziemlich irdisch zu. Das gefällt mir.
Nach ihrer intensiven Erfahrung während der Arbeit an ihrem Werk: Wissen Sie es jetzt? Wie klingt die Liebe?
Brrr, bsss … huiiii, brrrr … bsss. Lalala: ffff. Hu!
„Seufzen“, „Heulen“, „Herzensknall“ – laut dem Titel Ihres Werks scheint die Liebe vor allem sehr anstrengend und schmerzhaft zu sein …
Ich habe den Titel einem der Texte entnommen und fand es treffend und auch ziemlich realistisch. Mal wird geseufzt, mal geheult – aber das Wort vom Herzensknall … das fand ich ganz unfassbar schön. Herzensknall! Das ist mal ein Wort. Herrlich!
Welche Aspekte der Liebe werden in Ihrem Zyklus behandelt?
In den barocken Dichtungen geht es meistens um die Liebe untereinander – und fast immer steht der Sensenmann schon in der Ecke, lächelt und lässt das Glück noch ein bisschen zu. So schön es ist, so sehr ist das Ende nah. Manchmal riecht es nach Winterreise, manchmal geht es erotisch zu, manchmal geht’s um die Liebe zu Gott, zur Natur – und am Ende gibt’s eine kurze Nummer, da geht’s um Sünde.
Was unterscheidet Ihre Stücke als Songs von Liedern?
Der Untertitel des Stückes ändert sich alle 15 Minuten. Mal denke ich, ich habe Lieder geschrieben, mal denke ich: ne, sind eher Arien. Und trotzdem schwappt hier und da Songartiges hinüber, als wäre Kurt Weill (einer meiner Lieblingskomponisten, ich liebe alles von Kurt Weill!!!) zum Kaffee vorbeigekommen und hätte irgendwas auf die Serviette gekritzelt.
Wie würden Sie die Gesangsparts Ihrer Stücke charakterisieren?
Es wird gesungen. Ich liebe Stimmen! Und ich liebe Oper. Eigentlich wird alles, was ich mache, zur Oper. Deshalb wird hier gesungen, bis das Zäpfchen glüht.
Wie ist das Verhältnis des Ensembles zu den Vokalstimmen?
Die singen auch und manchmal machen sie Rambazamba dazu. Manchmal schnurren sie aber auch nur.
Nach welchen Kriterien haben Sie Countertenor und Sopran eingesetzt? Ausschließlich nach Gender-Aspekten?
Ich habe das Stück für Lini und Daniel geschrieben. Lini ist Sopranistin, Daniel ist Countertenor. Komplexer wird’s nicht.
In Berlin, in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin, kam 2018 Ihr Stück Frankenstein zur Uraufführung. Im Frühjahr 2023, wurde in Essen Ihr Musiktheater Dogville nach dem gleichnamigen Film von Lars von Trier uraufgeführt. Inwiefern spielen Erfahrungen aus dem Musiktheater in O Seufzen, Heulen, Herzensknall eine Rolle?
In den letzten paar Jahren mache ich bestimmt zu 75 Prozent Theatermusik. Das ist meine Welt. Man kann sich vielleicht gar nicht vorstellen, wie vollkommen besessen man von Oper, Musiktheater sein kann. Ich versuche, so gut ich kann, eine Geste, einen Klang, eine Stimmung für eine Szene zu finden und gleichzeitig die Stimmen in den Vordergrund zu stellen. Gäbe es ein Gesetz für Theaterkomponist:innen, ich würde sagen: § 2a – liebe Deine Sängerinnen und Sänger und lass‘ sie leuchten!
Was haben Sie nach der Hamburger Premiere Ihres Zyklus noch überarbeitet für die aktuelle Version?
Ich habe ein bisschen herumgestrichen, ein paar Schlenker ausgebeult. Manchmal hatte ich vielleicht, das übe ich gerade, der Musik an sich noch nicht genug vertraut und hier und da mit Schnickschnack garniert. Außerdem gibt’s einen neuen Anfang und ein neues, sündiges Ende. Ich wollte mit Schnedderedeng aufhören, damit man nach dem Konzert nicht so traurig an die Bar schlurft.
Welche Fehler bei der Interpretation sollten in Ihrem Zyklus vermieden werden?
Ein Fehler wär’s, alles nur richtig zu machen. Furchtbar. Ganz, ganz furchtbar, dieser Präzisionswahn! Es muss singen und funkeln und schmachten und wummern. Mit Schwung in die Erdbeeren!
(Interview: Ecki Ramón Weber)