Es gibt kein Ensemble, mit dem ich öfter zusammengearbeitet habe als mit LUX:NM aus Berlin. Wir haben schon etliche Schlachten zusammen geschlagen und in künstlerischen Fragen vertrauen wir uns gegenseitig sehr. Insofern gibt es bei unserer Zusammenarbeit auch kein hierarchisches Gefälle zwischen Schöpfer und Interpreten, die lediglich die Vorstellungen des Komponisten auszuführen hätten. Im Gegenteil: Wir sind Kollegen und arbeiten auf Augenhöhe miteinander. Wir sprechen viel über meine Stücke und teilweise bringen die Ensemblemitglieder auch eigene Ideen ein. Und was mir an der Haltung LUX:NM gefällt, ist ihre künstlerische Lebendigkeit. Sie wollen Menschen auf der Bühne sein, die Musik machen – keine »atmenden Midi-Files«, die vom Komponisten nur programmiert und abgespielt werden. Und gerade weil das Ensemble und ich schon über so viele Jahre so eng zusammenarbeiten, dachten wir: Es wird Zeit für etwas Großes, etwas groß Besetztes. So entstand meine Komposition Masque für fünf Musiker von LUX:NM und Orchester, eine Art Concerto grosso.
Den Titel Masque habe ich gewählt, da ich den Eindruck habe, dass – vor allem in letzter Zeit – alles, was ich tue, gewissermaßen Theater ist. Damit meine ich nicht, dass die Musiker sich verkleiden oder Masken tragen sollen, vielmehr kam mir die Gattung der ›Masque‹ aus dem 16. und 17. Jahrhundert in den Sinn. Als Vorform der barocken Oper vereinte sie Text, Musik, Tanz, Kostüm und Bühneneffekte. In Stücken dieses Genres ist alles etwas durcheinander: Es wird getanzt, gesprochen, dann folgt ein Lied, dann ein Chor, dann eine Pantomime, dann eine Arie, und so fort. Dieser Ansatz, bei dem die Dinge nicht alle einem Gedanken entspringen, sondern bei dem die Form etwas unsauber ist, interessierte mich sehr. So gibt es in meinem Stück auch einige ariose Passagen – Stellen, bei denen einzelne Ensemblemusiker mit einem Solo hervortreten. Diese Abschnitte nenne ich ›Arien‹.
Aber auch an anderer Stelle wird gesungen: Am Anfang des Stückes sind verschiedene Gesangssamples vom Synthesizer zu hören, die die Idee von frühem Musiktheater und einer gewissen stilistischen Unklarheit auf die Bühne bringen. Und dass ein Tasteninstrument wie der Synthesizer normalerweise nicht singt, hier aber schon, ist vielleicht auch ein Beispiel für die Maskierung von Dingen – nicht optisch, sondern akustisch.
Formal ist Masque in drei Sätze gegliedert. Am Beginn des ersten Satzes steht zunächst eine schlichte, tonale Kadenz. Es sind Akkorde zu hören, die eine gewisse Melancholie transportieren; Akkordketten, die einfach vor sich hingesungen werden. Das Orchester hält sich eine Weile im Hintergrund, während die Synthesizerklänge das musikalische Setting dominieren. Irgendwann reißen die Gesangspartikel des Synthesizers die Orchesterstimmen förmlich mit. Die Melancholie pumpt sich auf, das Orchester übernimmt das Ruder und überrollt das Ensemble beinah.
Im zweiten Satz stehen das Ensemble und zwischenzeitlich auch einzelne Solisten von LUX:NM im Vordergrund, das Orchester hat eine begleitende Funktion. Es wird viel geloopt und ›gesungen‹. Im dritten Satz wird viel getanzt. Da spielen Ensemble und Orchester als Partner zusammen, die Energie steigt nochmal an.
Und obwohl ich mich auf die Theaterform ›Masque‹ berufe, gibt es in meiner Komposition keinerlei Narration oder Handlung. Es ist nur eine entfernte metaphorische Hommage an diese Gattung; ein Stück, das ich letztlich als abstrakte Musik bezeichnen würde. Trotzdem tauchen viele Elemente auf, die von früher bekannt bzw. vertraut zu sein scheinen: Melodien, Akkorde, Kadenzen aber auch Beats und Pulse. Und all diese Elemente kommen nicht in Form von ironischen Brechungen oder Gespött über Tradition vor, sondern sind vollkommen ernst gemeint. Gleichzeitig möchte ich mich mit dem Stück auch nicht in pure Nostalgie oder Kitsch zurückziehen. Vielmehr denke ich bei den musikalischen Elementen, mit denen ich arbeite, an eine Form der ›Verwitterung‹: Wenn etwa eine Bronzestatue in einem historischen Stadtviertel schon ein wenig Patina angesetzt hat, ist zu erkennen, dass hier etwas sehr Altes steht, das aber noch immer vor sich hinlebt und sich ständig verändert. Ich denke an alles Mögliche, in das sich das Leben mit der Zeit einschreibt und dort seine Spuren hinterlässt. Diese musikalischen Materialien möchte ich weder entstauben und durch ein perfektes Dauergeglitzer ersetzen, noch möchte ich sie durch Ironie oder Veralberung herabwürdigen. Vielmehr möchte ich ihnen mit einem freundlichen Blick begegnen. Es geht mir nicht um Dekonstruktion von etwas. Es geht um Konstruktion. Denn es ist doch ohnehin so vieles kaputt auf der Welt. Da kann man – so sehe ich es – auch mal versuchen, etwas wieder ganz zu machen.
Gordon Kampe