Von 1955 bis 1971, also bis zum Alter von 18 Jahren, wuchs der im steirischen Graz geborene Georg Friedrich Haas in Vorarlberg auf. Was von jenseits der österreichischen Grenzen als allenfalls regionale Differenz gesehen werden mag, war für den jungen Haas die Erfahrung von Fremdheit als einer, der den örtlichen Dialekt nicht beherrschte und der ›falschen‹ Konfession angehörte. »Der Werk- titel sagt ja zweierlei, nämlich dass man sich einerseits eine Heimat wünscht und dass andererseits diese Heimat nicht vorhanden ist.«
Unheimat nimmt diese ambivalente Gefühlslage auf und transformiert sie in eine rein musikalische Faktur. Die reine Streicherbesetzung sorgt nur auf den ersten Blick für ein scheinbar homogenes Klangfeld. Das Streicherkollektiv ist in drei Gruppen geteilt, wobei vor allem der Kontrabass eine Sonderstellung einnimmt. Er steht abseits und für sich. Der Kontrabass ist damit also, wenn man will, so etwas wie das Alter Ego des jungen Haas. Ein Verwandter, aber nicht unmittelbar zur Familie gehörend.
Unheimat entstand im Jahr 2009. Drei Jahre vorher hatte Haas den Großen Österreichischen Staatspreis für Musik erhalten, eine der höchsten Auszeichnungen des Landes für einen Künstler. Ein eher skrupulöses Verhältnis zu seinem Heimatland hatte Haas gleichwohl immer, vor allem natürlich in jenen Jahren, in denen die rechte FPÖ die (Kultur-)Politik mitbestimmte.
»Es gibt verschiedene Heimaten, eine Heimat gibt es nicht«, sagt er 2009 in einem Gespräch zur Uraufführung von Unheimat. Und fügt Sätze hinzu, die im Licht der Krisen um Flüchtlinge und die Europäische Union geradezu prophetisch klingen. »Ich glaube, es wird im Laufe des 21. Jahrhunderts nur noch eine verschwindende Minderheit geben, die so etwas wie eine Heimat hat. (…) Ich glaube nicht, dass die europäische Idee (…) tatsächlich hält. Ich habe ein Jahr in Irland gelebt, das würde ich dort nicht unbedingt als Heimat bezeichnen – obwohl das Land ja zur Europäischen Union gehört. Natürlich hat Europa eine große Bedeutung, aber ich vermute, dass ich mich in New York sehr viel heimischer fühlen würde als etwa auf Kreta.« Seit 2013 ist Georg Friedrich Haas Professor an der Columbia University in New York.
Rainer Pöllmann