Das Konzert für Posaune und Orchester von Georg Friedrich Haas wurde bei den Donaueschinger Musiktagen 2016 uraufgeführt, als Auftragswerk, das der langjährige Leiter des Festivals Armin Köhler angeregt hatte. Köhler starb Ende 2014. Die Erinnerung an ihn habe bei der Arbeit an dem Werk »als Metaebene« gewirkt, wie Haas in einem Werkkommentar bemerkt hat, zumal Köhler selbst Posaunist gewesen sei.
Der Komponist hat sein Konzert für den Posaunisten Mike Svoboda geschrieben, der es in Donaueschingen mit dem SWR Symphonieorchester unter Leitung von Alejo Pérez vorstellte: »Die Klangschönheit seines Spiels, seine hohe Musikalität und die klare Rationalität seines Denkens hatten mich schon seit unserem ersten Zusammentreffen in Basel beeindruckt. Ich entschied mich, auf Mikes Erforschungen neuerer Spieltechniken zu verzichten und das Instrument auf sein historisches Vokabular zu konzentrieren«, hat Haas in einem Kommentar zu seinem Konzert betont. Hinsichtlich des musikalischen Verlaufs erläuterte er: »Wie in vielen meiner Werke arbeite ich auch hier mit kontrastierenden Abschnitten: ein tonales Harmoniezitat (mit Vierteltonschattierungen) am Anfang, ein expressiver, an emotional aufgeladenen Sprachmelodien orientierter Mittelteil (der zu einer ausgedehnten Klimax führt) – und ein in engen mikrotonalen Melodieschritten singender Schluss.« Was Haas mit Blick auf den Anfang seines Stücks lakonisch als »tonales Harmoniezitat« andeutet, ist tatsächlich eine tonal grundierte, matt schillernde Orchesterfläche, an der die Soloposaune Anteil hat. Bei diesen Klängen stellen sich unverkennbar Erinnerungen an die orchestralen Überwältigungsstrategien Richard Wagners ein, etwa an das Lohengrin-Vorspiel, bei Haas nicht schwerelos gleißend, sondern gewendet ins Düstere und Schattenhafte, oder an die Schlussszene aus Siegfried, extrem gedehnt, in Einzelteile zerlegt. Angesichts einer zunehmenden Verdichtung stellt sich beim Beginn von Haas‘ Konzert der Eindruck des Erdrückenden ein: die ersten Einsätze der Posaune ordnen sich dem mächtigen Klangstrom unter, einige der Soloeinsätze wirken zerrissen. Schließlich wird diese massive orchestrale Dominanz, angetrieben von einem sich beschleunigenden Trommelrhythmus, in einem mikrotonalen Orchesterglissando zerstoben. Raum für Neues wird geschaffen. Tatsächlich ist eine Transformation zu bemerken: Die Posaunenstimme findet nun förmlich die eigene Stimme, wirkt souverän, befreit, die Einsätze werden lebhafter und gestisch bewegter. Neue orchestrale Farben, etwa Akkordeon und Gongs, treten hinzu. Allmählich entsteht eine gleichberechtigte Interaktion zwischen Soloposaune und Orchester, die gemeinsam eine enorm expressive Kraft entwickeln.
Während der Entstehungszeit des Konzerts für Posaune und Orchester hat Georg Friedrich Haas, der seit einigen Jahren vorwiegend in New York lebt, seine Neigung zu BDSM öffentlich gemacht. Für ihn war dies ein Akt der Befreiung, sich aus Scham nicht mehr verstecken zu müssen, sondern zu sich zu stehen. Dies erklärte er in einem drei Tage vor der Uraufführung seines Werks in der Wochenzeitung Die Zeit publizierten Interview. In demselben Interview hat er auch die ungeheure Belastung geschildert, in einer Nazi-Familie aufgewachsen zu sein, wovon er sich, so Haas, nicht zuletzt dank der auf Freiheit setzenden Kunstauffassung von John Cage lösen konnte. Ohne auf platte Weise oder direkt biografische Details auf die Musik von Georg Friedrich Haas anwenden zu wollen, lässt angesichts dessen sein Konzert für Posaune und Orchester durchaus die Lesart als Prozess einer Emanzipation zu.
Eckhard Weber