Francesco Filidei: Ballate

Ballate No. 2 (2011) und No. 3 (2013) / L’opera (forse) (2009)

Die Ballate No. 2 und 3, die beide in so hohen Grenzbereichen beginnen, dass die Grenzen zwischen Tonhöhe und Geräusch verblassen, haben als gemeinsames Gerüst eine absteigende, chromatische Tonleiter. Aus der Extremlage mit hohen Vibrati, leisen Pfeiftönen und zitternden Linien senkt sich das Geschehen langsam, teils seufzend, in die Tiefe. Jeder Abschnitt fokussiert ein Segment der Skala. Unterwegs deuten sich Melodien an, sofern minimalistische Dreitonmotive bereits als Anzeichen für solche zu verstehen sind. Naturtöne fächern sich auf, Loops verdichten sich zu homorhythmisch gestampften Scherzopassagen. Beim Abstieg auf der chromatischen Treppe folgt das Geschehen den Launen des Augenblicks. Überraschend ist die Leichtigkeit, mit der filigrane Seufzer in dicht gepresste Streichergeräusche umschlagen. Überhaupt schlagen die Stimmungen in den beiden Ballate unvermittelt um. Vor allem die tänzerischen Passagen verraten darin einen Hang zur Groteske – scherzoartig verspielt und zugleich körperbetont.
Francesco Filidei pflegt einen bizarren Humor, der sich bereits im Titel der 2009 entstandenen L‘Opera (forse) für sechs Musiker und einen Sprecher ankündigt. Handelt es sich bei diesem Kabinett exotischer Klänge, in dem ein Rezitator die vokale Hauptrolle übernimmt, um eine Oper oder eher um einen lustvoll skizzierten Totentanz auf dem Friedhof der alten Gattungen? Francesco Filidei hat ein Faible für nekrophile Musikdramen. Bereits in I Funerali dell’ Anarchico Serantini (Die Beerdigung des Anarchisten Serantini) von 2006 bewegte sich das gesamte Geschehen auf der schmalen Grenze zwischen Ernst und Heiterkeit. Die Trauer um den im Gefängnis verstorbenen Antifaschisten Franco Serantini ist ebenso ernsthaft wie die Heiterkeit, ohne die sich kaum eine Beerdigung ertragen lässt.
Wie in diesem älteren, an Kagels Musiktheater anknüpfenden Werk, gibt Filidei auch den sechs Interpreten von L‘Opera (forse) ausschließlich Perkussionsinstrumente in die Hand. Hier wie dort sind die sichtbar agierenden Musiker Teil der Inszenierung. Sie in den Orchestergraben zu verbannen, würde dieser ›uneigentlichen‹ Oper ihre essentiellen, visuellen Komponenten entziehen.
Den ›Acht Skizzen in einem Akt‹ liegt ein Text des französischen Autors Pierre Senges zu Grunde, der das angekündigte Drama ins Animalische verlegt. Die kurze Geschichte der Liebe zwischen dem Nachtigall-Männchen Babettico und der Karpfendame Abboccata entpuppt sich in acht Teilen als Hybrid zwischen Opera buffa und Brechtscher Moritat und schlägt den Bogen von der kindlichen Spiellust der Ouvertüre der Krähe über Rezitativ, Arie, Cabaletta und Ronda bis zum lateinischen Requiem, das Pierre Senges den ermordeten Kreaturen widmet. Dem Literaten wurde schon häufig eine Nähe zum Barock attestiert. Auf Francesco Filidei trifft das kaum weniger zu. Der Tod, die Vergänglichkeit und die Flüchtigkeit des Lebens stehen auch im Mittelpunkt seiner Werke, zumal die grotesken Klänge nicht nur seiner Tier-Oper nie die Stille vergessen lassen, die sie umgibt. Filideis Stille ist allerdings kein raunendes Schweigen. Sie ist wie ein weißer Raum, in dem sich das manchmal geradezu karge Material entfalten kann. Sie lässt Raum zum Hören, auch auf das, was fehlt.

Martina Seeber