Ein kreativer Grenzgänger zwischen Vokal- und Instrumentalmusik ist der Berliner Komponist Eres Holz. Insofern überrascht es ihn auch nicht, wenn sein Publikum ihm schon einmal sagt, seine Instrumentalmusik klinge, als habe sie einen Gesangstext. Prägend für Eres Holz war seit seiner Kindheit die Mitwirkung in Chören und Vokalensembles, zunächst in seiner Geburtsstadt Rechovot und im nahen Tel Aviv, später in Berlin. Vor allem die Madrigale von Gesualdo, Marenzio und Monteverdi machten früh einen starken Eindruck auf ihn. Die musikalische Ausdeutung der in den Texten behandelten Affekte hat Eres Holz damals aufgrund geringer Italienischkenntnisse zunächst unabhängig, ohne den Bezug zum Inhalt der gesungenen Verse, rezipiert. »Ein Glücksfall für mein musikalisches Hören«, wie er heute sagt, »ich habe damals diese Affekte rein strukturell wahrgenommen, als musikalische Informationen, die Textausdeutung stand nicht im Vordergrund.« Seitdem fesselt ihn in der Musik das Verhältnis zwischen harmonischer Stabilität und ihrer Gefährdung, Spannung und Auflösung. Diese Gestaltungsprinzipien, die aus der Tonalität stammen, überträgt er auf tonal freie Musik und setzt zu diesem Zweck nicht zuletzt Satztechniken aus der langen Tradition der Vokalpolyphonie in neuen Konstellationen ein. Wie durch einzelne Intervallveränderungen in einem Stimmgefüge etwas Stabiles plötzlich labil und umgekehrt Dissonantes plötzlich aufgelöst werden kann, diese Gesetzmäßigkeiten faszinieren Eres Holz bis heute und haben für ihn – vergleichbar mit Rhythmusphänomenen – gerade körperlich spürbare Wirkungen.
In seinem instrumentalen Madrigal für das Duo Mixtura sprengt der Komponist erneut die Grenzen zwischen vokaler und instrumentaler Schreibweise. Die Schalmei, in ihrer Tongebung flexibler als ihre Nachfolgerin Oboe, kommt ihm dabei entgegen: Langsame, schnelle, Lippen- und Zwerchfellvibrati sowie farbenreiche Glissandi sind damit möglich. Der modulierende, auch mitunter fragile Klang kommt den Eigenschaften der menschlichen Stimme sehr nah. Die Schalmei und vier Stimmen des Akkordeons setzt Eres Holz zu einem expressiven fünfstimmigen Madrigalsatz ohne Worte zusammen.
Über den anfangs tiefen, sonoren Lagen des Akkordes findet die Schalmei in hoher Lage allmählich ihre Stimme und spielt eine mikrotonal geprägte, klagende Monodie mit Lamento-Figuren. Beide Instrumente nähern sich später in ihren mittleren Registern an, ein latenter Bordun stützt die Bewegungen, in der Stimmführung klingen kurze Einflüsse aus der Renaissance-Musik an, flüchtige Kadenzen, aber auch Inspirationen aus georgischer Chormusik mit ihren Bordunen und kleinteiligen Ornamentfiguren, mit der sich Eres Holz während der Komposition von Madrigal, beschäftigt hat.
Während im Mittelteil des Stücks die Einsätze der Schalmei zunehmend bewegter werden und in immer höhere Lagen streben, öffnet sich der Tonraum des Akkordeons nach oben, einhergehend mit Steigerungsentwicklungen, die das Geschehen zunehmend dynamisieren. Nach einem dramatisch zugespitzten, reibungsintensiven Kulminationspunkt lassen die stabilisierenden Kräfte nach, die Schalmei dringt in tiefe Register vor, im Akkordeon setzt sich ein Tritonus durch. Der gesamte Satz wird bis zum Ende sukzessive ausgehöhlt.
Eckhard Weber