Wechselwirkungen von Harmonik und Melodik untersucht Eres Holz in seinem neuen Ensemblestück Kataklothes. Das altgriechische Wort Kataklothes bedeutet „Zuspinnerinnen“ und bezieht sich auf die Moiren, in der antiken Mythologie die drei Schicksalsgöttinen, die den Lebensfaden für den Menschen knüpfen. Kataklothes als Bezeichnung für die Schicksalsgöttinnen verwendet Homer beispielsweise in der Odyssee. Das Bild des Lebensfadens ist passend für die Komposition von Eres Holz: Er erstellt darin als durchgehenden Faden eine Verkettung harmonischer Sequenzen. Wie in seinem Quintett verläuft auch hier die harmonische Progression im Sinne eines fortschreitenden „Chorals“, dessen fließender Stimmverlauf jeweils neue Akkorde bildet. Der harmonische Faden wird gewissermaßen immer weitergesponnen. Sobald sich die Harmoniefolgen etabliert haben, setzen Verschiebungen ein, der Verlauf wird rhythmisch komplexer, die Entwicklung spielerischer und belebter.
In Kataklothes spielt der Komponist aber auch mit Wahrnehmung und Hörerwartung: Nach dem ersten Drittel der Komposition bleibt die harmonische Entwicklung stehen. In diesem Abschnitt harmonischer Statik gewinnt die Melodik die Oberhand mit komplexen Figurationen, einer dichten Textur, den Instrumentalisten wird Virtuoses abverlangt. Wenn anschießend die aus dem Anfang des Stücks bereits bekannte Akkordverkettung wieder einsetzt, wirkt die Bewegung wieder frisch, um bald erneut mit rhythmischen Verschiebungen und geräuschhaften Klanglichkeiten verändert zu werden – hin zu einer strukturellen Ausdünnung. „Am Ende entmaterialisiert sich das Geschehen bis zum final cut“, beschreibt dies Eres Holz. Der Schicksalsfaden wird deutlich hörbar abgeschnitten.
Eckhard Weber