Enno Poppe: Wespe

(2005)

„Wespe, komm in meinen Mund, / mach mir Sprache, innen, / und außen mach mir was am / Hals, zeig’s dem Gaumen, zeig es“. So beginnt das Gedicht Wespe von Marcel Bayer. Er ist der Lieblingsdichter von Enno Poppe. Bayer hat beispielsweise auch die Libretti für Poppes Bühnenwerke Interzone (Berlin, 2004), Arbeit Nahrung Wohnung (München 2008) und IQ (Schwetzingen 2012) geschrieben. Beiden Künstlern liegt das Lakonische und auch das verschmitzt Ironische, das gerne ins Skurrile gleitet.

In einem Kommentar zu Wespe hat Marcel Beyer einmal geschrieben: „Er (Enno Poppe) plante einen Gesang für Solostimme, Klänge hatte er bereits im Ohr: ein Stück, bei dessen Darbietung der Interpret sich seiner stimmlichen Fähigkeiten bewusst werden würde. Die Möglichkeiten des eigenen Artikulationsapparats erkunden, während man denselben thematisiert – unter diesem Gesichtspunkt flog nun das Gedicht nicht mir, sondern ich dem Gedicht zu.“

Wespe wurde 2005 komponiert und im gleichen Jahr im Konzerthaus Berlin von der Sopranistin Silke Evers uraufgeführt. Seit einigen Jahren hat auch Daniel Gloger dieses Werk fest in seinem Repertoire. Der besondere Charakter der Countertenorstimme verleiht dem Stück klangfarblich eine weitere Qualität des Unkontrollierbaren, gerade weil sie sich der bis heute nachwirkenden, nach der Barockepoche etablierten (Gender-)Ordnung von Sopran, Mezzo, Alt in den hohen Registern und Tenor, Bass und Bariton in den tiefen Lagen entzieht. Gerade dieser Aspekt, dass sich die Stimme nicht in die gängigen Fächer, die seit der Klassik den musikalischen Form- und Ausdruckskanon bestimmt haben, einordnen lässt, gibt dem Eindruck des Gedichts  etwas zusätzlich liebevoll Anarchisches. Denn nicht nur die Wespe ist im Gedicht kapriziös, sondern auch der Diskurs, der rasant zwischen den Assoziationen und Bildern um „Wespenfleiß“, „Nesquick“, „Neunziger“ und „Nuller. Jahre“ schwirrt.

„Das Stück lebt von der Lust am Gedicht Wespe“, findet Daniel Gloger im Interview für Ultraschall Berlin. „Diese  Musik hat Witz, Leichtigkeit und Spielerisches, alles jedoch sehr präzise und so gut überlegt, zutiefst musikalisch und musikantisch. Es wird zum Beispiel die ganze Zeit mit einfachen Figuren, Glissandi, kleinsten Bögen, Trillern und Vibrati, gespielt, doch plötzlich bricht etwas Emotionales in einem großes Espressivo aus dem Sänger heraus.“  Daniel Gloger findet an diesem Stück faszinierend, wie die Musik von Enno Poppe unmittelbar und sehr wendig auf den Text reagiert: „Und doch schafft er es, dies alles musikalisch zusammen zu halten.“

 

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