Im Rahmen des Antrittskonzerts von Elena Mendoza als Professorin für Komposition an der Universität der Künste Berlin (UdK) im Februar 2016 brachte Juditha Haeberlin, Geigerin des ensembles musikFabrik, das Solostück Die Macht der Gewohnheit zur Uraufführung. »Reiner Klang – Unreine Musik« lautete der Titel dieser akademischen Galaveranstaltung, Motto des Konzerts im Joseph-Joachim-Saal der UdK und gleichzeitig Statement für die kompositorische Ausrichtung Elena Mendozas. In der Programmbroschüre hat die Komponistin damals geschrieben: »›Unreine Musik‹ wiederum steht für die Öffnung zu außermusikalischen Elementen und für die selbstverständliche Interaktion mit anderen künstlerischen Disziplinen.«
Elena Mendoza, literarisch außerordentlich interessiert und bewandert, verbindet die Musik gerne mit Texten. Dies jedoch nicht nur im Musiktheater und Gesangswerken, sondern auch in neuen Formen, so im Geigenstück Macht der Gewohnheit, bei dem das gleichnamige Gedicht von Hans-Magnus Enzensberger nach einer rhythmisch exakt notierten Vorgabe in der Partitur während des Spiels vorzutragen ist. Die Geigenstimme wird dabei keineswegs als musikalische Illustrierung des Textes eingesetzt, auch ist das Stück kein Monodram mit Violinbegleitung. Stattdessen ergeben die gesprochene Sprache und die Geige als musikalische Partner auf Augenhöhe praktisch ein Duo. Das Gedicht werde »mit dem Instrumentalspiel verflochten«, so Elena Mendoza: »Dabei bewegt sich die Sprache in einem Spektrum zwischen unsemantischem Klangmaterial, das mit dem Instrumentalklang verschmilzt, und einer maximalen Textverständlichkeit in Form direkter Publikumsansprache.«
Am Text habe sie gerade das Hinterfragen von Gewohnheiten und der Appell, »wach zu bleiben«, angesprochen. Ausgehend vom Gedicht hat sie strukturelle Konsequenzen für ihr Stück gezogen, wie sie im Interview für Ultraschall Berlin erläutert hat: Das Gedicht sei »formal sehr reizvoll, da Enzensberger alle möglichen Wörter aneinanderkettet, die Gewohnheit beinhalten. Die Verse habe ich in Schleifen musikalisiert, so dass die Gewohnheit auch in der Komposition eine große Rolle spielt.« Zwischendurch ist noch »eine kleine persönliche und zuneigungsvolle Hommage« an Helmut Lachenmanns Cellosolostück Pression eingewoben.
Typisch für Elena Mendoza, die bei ihrer Textauswahl oft auch ihr Faible für das Absurde, Groteske und Skurrile zeigt, ist ein subtiler, gerne hintergründiger Humor. Dieser scheint auch bei Die Macht der Gewohnheit durch, in der Art, wie zwischen semantischer und phonetischer Behandlung der Sprache gewechselt wird. »Der ironische Blick wird auch durch die Haltung der Interpretin deutlich, die die direkt gesprochenen Sätze etwas pedantisch und oberlehrerhaft vorträgt, kurz vor Schluss aber völlig die Kontrolle über die eigene Rede verliert«, so Elena Mendoza im Interview für Ultraschall Berlin. Doch am Ende, bei den beiden letzten Versen des Gedichts (»Sanft ruht die Gewohnheit der Macht / auf der Macht der Gewohnheit«) wird wieder zu Klarheit in der Formulierung der im Spielerischen eingebauten Kritik gefunden. Im Text zu ihrem Antrittskonzert an der UdK fragt Elena Mendoza im Zusammenhang mit ihrem Stück: »Reden wir über die heutige Gesellschaft? Über die Neue Musik? Über universitäre Strukturen?«
Eckhard Weber