Das Orchesterwerk glut des aus dem schweizerischen Aargau stammenden Komponisten Dieter Ammann entstand im Rahmen von „Œuvres Suisses“, einer von 2014 bis 2016 durchgeführten Kulturinitiative. Ziel von „Œuvres Suisses“ war es, „ein neues Repertoire mit 33 Schweizer Orchesterwerken“ zu schaffen. Insgesamt elf Kammer- und Sinfonieorchester aus der Schweiz waren am geamten Projekt beteiligt. Jedes Orchester brachte jeweils drei neue Werke zur Uraufführung. Bei Dieter Ammanns glut waren das Tonhalle-Orchester Zürich und das Berner Symphonieorchester die Auftraggeber. Die Uraufführung fand im Mai 2016 in Zürich statt.
Dieter Ammann trat in den 1980er und frühen 1990er Jahren zunächst als Pianist, aber auch als Trompeter und als E-Bassist, im Jazz, im Free-Funk und in der improvisierten Musik in Erscheinung. Er arbeitete mit Künstlern wie dem US-amerikanischen Jazz-Saxophonisten Eddie Harris und dem deutschen Sänger Udo Lindenberg zusammen, bevor er in Basel bei Roland Moser und Detlev Müller-Siemens Musiktheorie und Komposition studierte.
Gleichzeitig fand Dieter Ammann prägende Impulse in Kompositionskursen bei Witold Lutosławski, Dieter Schnebel, Niccolò Castiglioni und Wolfgang Rihm. Dieser hat Dieter Ammann einmal bescheinigt: „Keine Sekunde Leerlauf, alles lebendig und im schönsten Sinne durchwachsen von Kraftlinien, die auch dann kräftig bleiben und ununterbrochen, wenn sie in widersprüchliche Richtungen zielen.“
Dies lässt sich auch auf glut beziehen: Der kleingeschriebene Titel glut ist zweisprachig zu verstehen und in dieser absichtlich gesetzten Ambivalenz ein beredter Hinweis auf das musikalische Geschehen in diesem Werk: Mit „Fülle“ wäre der englische Begriff glut zu übersetzen, auch mit „Schwemme“ im Sinne von „Flut“ oder „Überangebot“. Der deutsche Begriff „Glut“ bietet wiederum ein breites Assoziationsfeld bis hin zur Metapher für Leidenschaft. All dies trifft zu, wie Dieter Ammann in einem Werkkommentar nahelegt, wenn er sein Stück als „eine Welt, deren innere Glut, zu Klang geformt, nach außen drängt“, charakterisiert und als Formel für das musikalische Geschehen von glut den Gegensatz „Leidenschaft des Suchenden vs. Flut der Klangmöglichkeiten“ aufstellt.
Zu Beginn lässt in glut die Zusammenballung verschiedener Strukturen, das geradezu collagierte Aufeinandertreffen mehrerer Musiken an die gewagten sinfonischen Ausflüge eines Charles Ives denken. Gleichzeitig hat das Ganze bei Ammann ein bezwingendes Vorwärtsdrängen, unterbrochen lediglich von kurzfristigen Rückzügen. Im weiteren Verlauf wird in glut die Energie ostinater Rhythmusimpulse genutzt und in der Folge deren Vibrieren und deren Potenzierung. Zudem wird durchaus auch in Orchesterfarben geschwelgt, die geballte Kraft des großen Klangapparats lustvoll eingesetzt und die instrumentalen Gruppen übereinandergeschichtet. Während auf diese Weise musikalische Bewegung in der ersten Hälfte von glut vorwiegend nach außen gerichtet wird, somit extrovertiert ist, gerät die zweite Hälfte dagegen introvertiert. Die Energie scheint ins Innere der Klangflächen zu wirken, hier wird den verschiedenartigen Reibungen zwischen den Kräften nachgespürt. Die Ambivalenz des Titels von glut setzt sich somit tatsächlich in den Strukturen fort.