Der aus der Shakespeare-Stadt Stratford-upon-Avon stammende Komponist David Paul Graham war nach seinem Studium an der Reading University Meisterschüler von Hans Werner Henze an der Musikhochschule Köln. Neben dem Komponieren ist ihm stets auch die Musikpädagogik ein Anliegen. Neben Projekten in Montepulciano, berühmt für das von Henze gegründete Musikfestival, leitete Graham lange Jahre eine von ihm aufgebaute Kinderkompositionsklasse mit Schwerpunkt Musiktheater an der Clara-Schumann-Musikschule Düsseldorf und koordinierte internationale Musikprojekte.
David Paul Grahams Werk Gravity (»Gravitation«) ist für das Notos Quartett entstanden und wurde vom Ensemble im Oktober 2016 im Rahmen des Festivals Celloherbst am Hellweg in Unna in einer Werkshalle uraufgeführt. Gravity spiegelt Grahams Interesse an Astrophysik und Experimentalphysik wider. Er hat dies folgendermaßen beschrieben: »Gravitationswellen sind ›gekräuselte‹ Wellen im Gefüge der Raumzeit, die durch gewaltige energetische Prozesse im Universum entstehen. Albert Einstein sagte ihre Existenz schon 1916 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie voraus. Die stärksten Gravitationswellen werden durch wahrhaft katastrophale Ereignisse ausgelöst, etwa durch die Kollision Schwarzer Löcher. Am 14. September 2015 hat das Laser Interferometer Gravitationswellen Observatorium (LIGO) des California Institute of Technology (Caltech) und des Massachusetts Institute for Technology (MIT) zum ersten Mal Verzerrungen in der Raumzeit mit physikalischen Messinstrumenten wahrgenommen, hervorgerufen von vorüberziehenden Gravitationswellen, die durch zwei aufeinanderprallende Schwarze Löcher generiert worden waren. Diese waren fast 1.3 Milliarden Lichtjahre entfernt (…). Diese Nachricht und viele damit verbundene Fakten inspirierten dieses Stück.«
Der Komponist hat eine Art galaktisches Szenarium für seine Musik skizziert: Im ersten Satz Lento da lontano, »Gravitationen« evoziert er in einem flirrenden, obertonreichen Umfeld das Auftreten von sich verstärkenden Kräuselwellen, bis das Epizentrum vorüberzieht und sie sich abschwächen. Bald treten weitere Kräuselwellen auf, »wie sich drehende Quasare oder Schwarze Löcher, jeweils unterschiedlich«.
Für den zweiten Satz Mosso, »Rotationen« hat der Komponist zum Szenarium notiert: »ein Hintergrund entfernter rotierender Körper, ein Meteoritenregen, (…) Mikrointervalle mit assoziierten Rhythmen. (…) Kleine Intervalle werden zu Clustern, (…) gewaltsame Gravitationswirkungen. (…) Die Rotation zweier schwarzer Löcher ist hörbar, sie erzeugen eine Gravitationswelle, die sich dann zurückzieht.«
Dass Gravity ein Werk unserer Zeit ist und nicht die schwärmerische Faszination für Raumfahrt und Weltraumtechnik früherer Dekaden teilt, zeigt der überraschende Finalsatz Grave »Der menschliche Faktor«: Hierzu bemerkt der Komponist in seiner Beschreibung lapidar: »Eine elegische Reise. Unaufhaltsame Schwerkraft zwischen uns.«
Eckhard Weber