Längst hat Bryce Dessner mindestens zwei Welten in der Musik vereint: Er ist in der Independent-Szene genauso zu Hause wie im Klassikkonzert. Als er in den 1980er Jahren, während seiner Jahre in der High School, mit seinem Zwillingsbruder Aaron Dessner eine Schulband gründete, gleichzeitig aber auch Konzerte mit dem Repertoire der Konzertgitarre gab, wurde Bryce Dessner gesagt, er müsse sich entscheiden, man könne nicht beide Richtungen musikalisch verfolgen.
Heute stellt Bryce Dessner zufrieden fest: »Meine Intuition sagte mir: Diese Stimmen liegen falsch (…) Irgendwann wird sich diese Vielfalt an Erfahrungen als bereichernd herausstellen und auszahlen, statt bloß einen Weg zu verfolgen.« Sein Erfolg gibt ihm Recht. Berühmt wurde Bryce Dessner zunächst als Gitarrist der New Yorker Independent-Band The National, deren Musik auch maßgeblich von seiner Handschrift mitgeprägt ist. The National legen seit 1999 mit betörend melancholischen, düsteren Songs den Finger auf die Wunden des vielbeschworenen und genauso oft angezweifelten American Dream.
In den letzten Jahren ist Bryce Dessner, unabhängig von The National, verstärkt als eigenständiger Komponist hervorgetreten. Ausgebildet nicht nur in klassische Gitarre an der Yale University in New Haven/Connecticut, sondern auch in Komposition werden seine Stücke international in Konzertsälen und auf Festivals aufgeführt. In seinen atmosphärischen Werken kreiert der Komponist farbenreiche Klanglandschaften, in denen sich genau die vielfältigen Einflüsse verbinden, die ihn geprägt haben: Elemente des Schmelztiegels New York, klassische Vorbilder, Anregungen aus der Minimal Music sowie Elemente aus der Popkultur, von Ambient Music bis Folk. 2015 ist Bryce Dessner nach Paris gezogen und seitdem mit seinen Werken auch vermehrt in den europäischen Neue-Musik-Szenen präsent. Er hat sowohl sinfonische Werke geschrieben als auch Kompositionen etwa für das New York City Ballet. Zudem ist er mit Filmmusik in Erscheinung getreten, so hat er zum Beispiel Stücke für den Soundtrack des existenzialistischen Western-Thrillers The Revenant (2015) von Alejandro González Iñárritu beigesteuert.
Intensiv hat sich Bryce Dessner in den letzten Jahren der Kammermusik zugewandt.
Beim Festival Ultraschall Berlin 2019 präsentierte das Notos Quartett Dessners Komposition für Klavierquartett El Chan (2016), ein Stück, inspiriert von der Natur und Mythen in der mexikanischen Provinz Guanajuato, die Bryce Dessner während eines Aufenthalts bei Alejandro González Iñárritu kennenlernen durfte. Bryce Dessners jüngstes Stück für die Besetzung Klavierquartett, sein Werk Spirals, das bei Ultraschall Berlin 2021 zur Uraufführung kommt, ist als Auftragswerk für das Notos Quartett entstanden.