Die in Wien und Köln lebende Komponistin Brigitta Muntendorf sprengt die Grenzen herkömmlicher musikalischer Formate. Musikalische Strukturen bleiben vage und abstrakt, Muntendorf will jedoch in ihren Werken konkret sein, deshalb setzt sie Elemente aus Performance, Elektronik, Zuspielungen und audiovisuelle Medien, Worte und Bilder ein. So finden etwa Reflektionen über die durchdigitalisierte Informationsgesellschaft Eingang in ihre Musik, auch wenn sie für zwei Klaviere schreibt. »Künstlerische Freiheit besteht darin, den Finger auf die Wunde einer Gesellschaft legen zu können«, so Muntendorf. In The Key of Presence, gemeint als »Die Taste der Anwesenheit«, und in The Key of Absence …, »Die Taste der Abwesenheit«, den beiden bislang vollendeten Werken einer Trilogie mit zwei Klavieren und mehr, beschäftigt sich die Komponistin mit dem Aspekt von Zeitlichkeit und Vergänglichkeit in der medialen Welt von heute.
In The Key of Absence, wie The Key of Presence für das GrauSchumacher Piano Duo geschrieben, geht es um Erinnerung, warum sie unser Leben bestimmt, sowie um die Funktion klanglicher Erinnerungen und Assoziationen. Ein Stück, den beiden Musikern auf den Leib geschrieben, »das nicht jeder einfach so spielen kann. Präzision ist etwas, was die beiden sehr auszeichnet. Und auf der anderen Seite auch, dass sie aber das Klavierspiel nicht nach außen zelebrieren, wie man es oft bei Pianisten kennt. Stattdessen kommt dies bei ihnen alles aus der Musik«, sagt Brigitta Muntendorf im Interview für Ultraschall Berlin.
Vollgriffige Akkorde, weite Lagen, Klangballung, rasante Patterns, das alles wirkt wie ein Kampf gegen das Vergehen: »Es ging mir darum, zum einen eine Textur zu schaffen, die immer um sich selbst kreist, wie ein Rad, das sich ständig dreht, Pendelbewegungen, Akkorde, die Komplementärrhythmen ergeben«, so die Komponistin, »man arbeitet sich an etwas ab.« Sie wolle die Musiker in einen Zustand äußerster Konzentration versetzen, wodurch der verbale Dialog, den sie zum schwierigen Klavierspiel führen, umso absurder wirke. Die modische Obsession der Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung, das Leben eingeteilt in Projekte, schneller, weiter, mehr – diese Absurdität zeigt Muntendorf auf dem Schlachtfeld Klavier, »das Streben nach einer Perfektion, Kreativität ist heute die neue Ware.«
Zwischendurch blinken Erinnerungsfetzen auf, eine Arie aus Fidelio, ein Zitat aus Sofia Coppolas Film Lost in Translation, Akkorde aus Schuberts Unvollendeter, Klänge aus Hugo Wolfs Lied Mignon. Vergänglichkeit und der Versuch, sich dagegen zu stemmen – ein ewiges Thema des Menschen, das auch heute weder weggeklickt noch auf der Touchscreen zur Seite gewischt werden kann.
Eckhard Weber