Bernd Alois Zimmermann: Perspektiven – Musik zu einem imaginären Ballett

für zwei Klaviere

Mit den im Temperament und in ihrer Ästhetik äußerst unterschiedlichen Rheinländern Bernd Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhausen wurde Köln zu einem Zentrum der Nachkriegsmoderne. Mit seinem Stück Perspektiven hat Zimmermann einen Meilenstein der seriellen Musik geschaffen. Heute ein Klassiker, seinerzeit im Epizentrum des Serialismus, bei den Darmstädter Ferienkursen, uraufgeführt, stellt dieses Werk die erste konsequente Auseinandersetzung Zimmermanns mit seriellen Techniken dar. Und doch ist das Stück höchst individuell.

Der erste Teil entstand 1955 und zeigt trotz reihentechnischer Determination und serieller Durchorganisation vieler musikalischer Parameter Relikte traditioneller pianistischer Gesten, erkennbar größere homogene Abschnitte, manche Ausleger sahen sogar Relikte der Sonatenform darin, und Erinnerungen an Ausdrucksästhetik. Der zweite Teil, ein Jahr später entstanden, wirkt radikaler in seiner Modernität, in der Struktur kleinteiliger, auch abstrakter als der erste. Die einzelnen musikalischen Ereignisse stehen nun stärker im Fokus, traditionelle Spuren im Melos oder harmonische Verkettungen werden vermieden. »Der Titel des Stückes – Perspektiven – bezieht sich auf die kompositorische gegenseitige Zuordnung der musikalischen Gefüge, welche in mehrfacher Weise  ›perspektivisch‹ sind. Dies innerhalb der Proportionierung der musikalischen Elemente und ebenso innerhalb des Verhältnisse von Erlebniszeit und effektiver Zeitdauer«, erläuterte Zimmermann einmal in einem Brief. Mit Blick auf den Untertitel »Musik zu einem imaginären Ballett« verstand Zimmermann Ballett als »Sammelbegriff für die Darstellung und Verbindung verschiedenster Bewegungselemente rhythmischer, räumlicher und körperlicher Art (…). Die Musik ist dabei gewissermaßen der geometrische Ort, auf den sich alles bezieht, die Zelle, aus der sich alles entwickelt.« Die Imagination ist vor allem auch jene der Hörerschaft. Innerhalb der seriellen Durchstrukturierung nimmt sich Zimmermann die Freiheit, seine Musik als bewegtes Spiel in Zeit und Raum zu verstehen. Im gleichen Kommentar schreibt er: »Aus dieser ständigen Wechselbeziehung, kontrapunktierend, kreisend, sich kreuzend, entstehen die verschiedensten Formationen. Diese treten wiederum mit sich selbst in eine ständige Wechselbeziehung und vertauschen sich in sich selbst: verdichtend, lichtend, sich auflösend. – Der Hörer möge sich eine Tänzerin und zwei Tänzer zu der Musik der Perspektiven vorstellen.« Ein frappierender Vorschlag, der überrascht, aber zeigt, dass das streng organisierte Serielle dem Komponisten offenbar nicht genügte.

Eckhard Weber