Der Titel ist rätselhaft – und um ihn zu erklären, zieht die irische Komponistin Ann Cleare konsequenterweise einen recht außergewöhnlichen Vergleich aus der Tierwelt heran. Man möge sich zwei Lebewesen vorstellen: einerseits eine Libelle, mit Augen, so groß, dass sie fast den ganzen Kopf bedecken und einen 360°-Rundumblick gewährleisten, Sinnesorgane, die blitzschnell auf Bewegungen reagieren; andererseits ein Lebewesen in der Tiefsee, das zwar Augen besitzt, aber in absoluter Dunkelheit andere Sinnesorgane verfeinert hat, um so das Sehen substituieren zu können. »Nun stellen Sie sich vor, dass ähnliche Strukturen in diesem Stück vorhanden sind, dass ein Trio aus Klavier, Schlagzeug und E-Gitarre eine eigenständige, blinde, undurchdringliche Biosphäre bildet. Und das Saxophon, im extremen Kontrast dazu, eine riesige Netzhaut aus tausenden von lichtempfindlichen Nervenzellen, wie bei einer Libelle.« Dieses hochsensible, agile Saxophon stellt nicht nur einen Kontakt zum in sich gefangenen Trio her, sondern übernimmt in gewisser Weise auch dessen Führung. Indem es aus eigenem Vermögen ein kleines ›Lichtfenster‹ auf sein Gegenüber wirft, wird es zum ›Auge‹ des Trios, es verändert die innere Struktur dieses Trios, es gibt ihm nicht nur die Möglichkeit, wieder sehen zu können, sondern auch sich selbst und seine Umgebung aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das Saxophon wird zu einem Medium der Aufklärung, zu einem Instrument der Selbsterkenntnis für die anderen drei Instrumente. Spätestens hier reicht die ursprüngliche Fauna-Metapher in einen geradezu transzendentalen Bereich hinein, zugleich wird sie zur Metapher gesellschaftlicher Verhältnisse. Diese Lesart bestärkt Ann Cleare, indem sie auf ein Zitat von Oscar Wilde verweist, das bei der Komposition des Werks eine wichtige Rolle gespielt habe: »Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne.«
Rainer Pöllmann