Amit Dolberg macht es gleich zu Beginn ganz deutlich – die Musik sei an diesem Tag nicht das Wichtigste, erklärt der Pianist und künstlerische Leiter des Meitar Ensembles im Gespräch kurz vor dem Konzert. So wie an eigentlich allen Tagen seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel und der Verschleppung hunderter Geiseln in den Gaza-Streifen. Mit seinen Mitmusikerinnen und Mitmusikern wird Dolberg genau dann auf der Bühne stehen, wenn erstmals seit Monaten wieder Geiseln zurück in ihre Heimat dürfen. Für das Ensemble, das aus Tel Aviv kommt, waren die Ereignisse im vorletzten Herbst ein deutlicher Einschnitt. „Es hat alles verändert, es ist in unseren Köpfen, es hat verändert, wie wir spielen, wie wir uns auf der Bühne fühlen, alles“, sagt Amit Dolberg, der die Gruppe 2004 gegründet hat.
Das Programm, das das Ensemble an diesem Nachmittag in Berlin spielt, ist ein extrem persönliches, die meisten der Stücke entstanden anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Gruppe. Noch mehr als in anderen Konzerten, sind die Werke ein Ausdruck der engen Verbindung zwischen dem Meitar Ensembles und seinen „kompositorischen Freunden“. Neben Fragment einer Erinnerung von Elnaz Seyedi von 2015 kommen vier Werke teils zu ihrer europäischen Erstaufführung, teils hört das Publikum sogar Uraufführungen. Sowohl Yair Klartag, von dem the sun will stand still stammt, als auch Batya Frenklakh, deren colors of the sand ein Auftragswerk des Ensembles ist, kommen ebenfalls aus Israel und arbeiten schon seit längerem mit der Gruppe um Amit Dolberg zusammen.
Eine ganz besondere Beziehung besteht zu dem österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas, der im letzten Jahr das Stück die schwache Kraft schuf und es dem israelischen Ensemble schenkte. Eine große Geste, die alle überraschte, denn, so erzählt Amit Dolberg, „wir wussten nicht davon, überhaupt nicht“, obwohl sich das Ensemble und Georg Friedrich Haas seit langer Zeit gut kennen. „Wir sind gute Freunde, er war bei zwei unserer Festivals in Israel, wir waren gemeinsam in den USA. Wir lieben ihn und seine Musik und sind immer in Verbindung. Er war besorgt um uns.“ Die besondere Verbindung zwischen Haas und dem Ensemble zeigt sich nicht in der konkreten musikalischen Umsetzung, sondern in der inhaltlichen Idee des Stücks. Der Titel die schwache Kraft ist aus der Grundlagenphysik entliehen und beschreibt eine Anziehung zwischen extrem nahen Teilchen. Die Energie, die dieser Wechselwirkung zugrunde liegt, wirkt wie ein Sinnbild für die besondere Kraft, die das Meitar Ensemble aus dieser Musik schöpft.
Das engagierte Spiel der Gruppe steht allerdings häufig im Kontrast zur reduzierten und wenig fordernden Musik, die Haas komponiert hat. Sein Stück beansprucht viel Zeit, um Klänge zu entwickeln, teilweise so viel, dass die Energie des Ensembles in diesen gedehnten Passagen verloren geht. Die besondere Beziehung des Komponisten zum Ensemble mag tief im Stück verborgen liegen und für die Beteiligten offensichtlich sein, auf das Publikum überträgt sie sich aber nicht, weil sie in der Musik selbst nicht auszumachen ist. So wirkt der Titel die schwache Kraft allzu passend, selbst wenn bei der Entstehung des Stücks starke Kräfte gewirkt haben mögen.