Dort, wo das eine endet und das andere beginnt, da ist eine Grenze, da ist der Rand der Dinge. Zu dieser Grenze, hin zum Rand, wagen sich die drei Kompositionen, die im Abschlusskonzert von Ultraschall Berlin 2025 im Sendesaal des rbb erklangen. Während Charlotte Seithers Stück zu welcher Stunde vom Rand des Lebens, dem Moment des Sterbens, sowohl vor als auch zurückblickt, steht black trees von Sarah Nemtsov am Rand des Tages, der Dämmerung. Das Cellokonzert upon a moment’s shallow rim von Philipp Maintz trägt diesen Moment des Alleräußersten sogar in seinem Titel – „Auf dem schmalen Rand eines Augenblicks“.
Diesem Cellokonzert, das in der Mitte des Abends erklingt, widmet sich der Solist Johannes Moser mit größter Hingabe. Energisch bearbeitet er sein Instrument, arbeitet sich genauso kraftvoll durch die lauten Stellen des Stücks wie gefühlvoll durch dessen ganz zarte Momente. In diesen ruhigen Passagen wird deutlich, warum der Komponist Philip Maintz von einem „Drahtseilakt“ spricht, den Cello und Orchester gemeinsam bewältigen müssen. Anders als in klassischen Solokonzerten kann sich der Cellist hier nicht auf das sichere Fundament des Orchesters verlassen, um seine ganze Virtuosität zu präsentieren. Es ist vielmehr ein gemeinsames Balancieren, das beiden Seiten einiges abverlangt, und unter der Leitung des Dirigenten Markus Poschner bravourös gelingt.
Fehlende Sicherheit ist auch in zu welcher Stunde von Charlotte Seither ein zentrales Thema, genauer gesagt, die Unwissenheit darüber, was nach dem Ende, dem „final cut“ passiert. Dafür schaut die Komponistin allerdings nicht in die musikalische Glaskugel oder beschwört Geister aus dem Jenseits, Charlotte Seither wirft zunächst einmal nur Blicke. Was genau zu sehen ist, ist dabei nicht entscheidend, wichtiger ist, in welche Richtung die Blicke gehen, vor oder zurück, von uns weg oder in uns hinein? Um diese genauen Beobachtungen zu ermöglichen, ist das Orchester klein, fast kammermusikalisch besetzt und nur um von der Komponistin selbst in aller Welt gesammelte Handglocken ergänzt. Es entsteht so eine fast intime Klanglichkeit, die in einer langanhaltenden Linie ausschwingt – wie eine unbeantwortete Frage, ein nicht erwiderter Blick.
Zum Abschluss des Konzerts und damit des gesamten Ultraschall Festivals 2025 spielt das Deutsche Sinfonieorchester das Werk black trees der Berliner Komponistin Sarah Nemtsov, das hier eine halbe Uraufführung erlebt. Denn das Stück, 2020 anlässlich des Beethovenjahres und inmitten der COVID-Pandemie 2020 entstanden, kam bisher nicht vollständig zur Aufführung. Der von Sarah Nemtsov als optional angelegte Epilog zum Werk wird an diesem Abend erstmalig vor Publikum gespielt und macht zum Abschluss noch einmal deutlich, warum die Komponistin black trees als ein „Nachtstück“ bezeichnet. Es gleicht einem Gang durch die Dämmerung, umgeben von einem dichten Wald aus Bäumen, die nur noch in schwarzen Umrissen zu erkennen sind. Angeregt von zwei Gedichten der Lyrikerin Sylvia Plath legt Sarah Nemtsov in diesem Stück den Fokus auf feinste Schattierungen und die Übergänge zwischen sich überlappenden Farbschichten. Dem DSO und seinem Dirigenten gelingt es, diese subtilen Details auch im vollen Orchesterklang hörbar werden zu lassen. Dazu kommt der mit der Entstehung verbundene Bezug zu Beethoven, der hier nicht offensichtlich, sondern eher ‚über Bande gespielt‘ erfolgt. So wie in vielen Werken Beethovens immer wieder Fugen beginnen, ohne regelmäßig weitergeführt zu werden, finden sich auch in black trees zahlreiche abgebrochene Anfänge. Das Orchester und Markus Poschner lassen sich auf diese immer neuen Anfänge ein, spielen sie mit voller Überzeugung, um sie dann umso deutlicher abrupt zu beenden. Sie greifen gemeinsam mit dem Stück aus, bis zum Rand der Dinge und zum Teil darüber hinaus.