Kein Begrüßungsapplaus, kein Einstimmen oder Verbeugen. Nur ein kleiner Teil dessen, was Muriel Razavi in ihrem Konzert „ancient eve is once again offering apples“ anders macht als man es bisher vom Ultraschall-Festival gewöhnt ist. Wie sich in dem ebenfalls zum Abend gehörenden Gespräch im Anschluss herausstellt, wollte sie sogar auf den Schlussapplaus verzichten. Hierbei geht es aber nicht um falsche Bescheidenheit, sondern vielmehr das „Aufbrechen“ alter Rituale. Diesen Aspekt hebt sie sowohl nach dem Konzert als auch im Gespräch mit den UltraschallReportern hervor.
Die Bratscherin stellt uns Stücke verschiedener iranischer Komponistinnen vor, wobei zwischen den Werken keine klaren Grenzen liegen, die man mit Applaus und Verbeugungen füllen könnte. Ein richtiges Bühnenbild hat Muriel Razavi eingerichtet. Klar, auch bei allen anderen Konzerten weiß man durch ein gewisses organisiertes Chaos aus verschiedenen Instrumenten zu beeindrucken, aber in diesem Fall haben wir eine Bühne voller Äpfel, daneben hängt ein Baum von einem der Ränge und darüber befindet sich eine Leinwand.
Während sich der Saal in der Kuppelhalle des Silent Green langsam füllt, ertönen aus Lautsprechern Musik und persische Worte. Die Künstlerin sitzt auf der Bühne, den Rücken zum Publikum. Als es losgeht, ist es zunächst dunkel, dann erleuchtet ein Scheinwerfer einen Teil der Bühne. Der Strahl geht von schräg unten auf das Gesicht der Bratschistin und von dort Richtung oberer Rang. Nun beginnt sie zu spielen. Ruhige Klänge, die sich langsam steigern. Weder sehr tief, noch außerordentlich hoch, dann, passend zur gesteigerten Musik, steht Muriel Razavi auf und spielt im Stehen weiter. Die Musik wird etwas schwungvoller und lauter, allerdings bleibt alles im gemäßigten Bereich und nach einer Weile geht die Musikerin wieder auf die Knie. Dann geht es in einem Wechsel zwischen Zupfen und Streichen weiter und schließlich steht sie auch wieder.Dabei bietet die Musik eine gewisse Abwechslung, ohne allerdings besonders über die Stränge zu schlagen. Aber man bemerkt klare Unterschiede. Das Zupfen klingt nun schnell und sprunghaft, wenn auch nicht besonders froh.
Nachdem sie sich wieder hingekniet und die Bratsche zur Seite gelegt hat, ertönt aus Boxen ein leises Flüstern, das etwas an die Gesänge der Elben aus „Herr der Ringe“ erinnert. Unterdessen wird mit den Äpfeln hantiert und ein paar landen auch in den Händen von Zuschauer*innen, während auf der Leinwand das Gedicht erscheint, das dem Konzert seinen Namen leiht. Wichtig war der Künstlerin der offene Umgang mit einem so totgeschwiegenen Thema wie Sexualität in hohem Alter. Vermittelt wird diese Thematik anhand eines Gedichts in dem Eva Adam „herausfordert“, indem sie ihm „ihre Äpfel“ anbietet, was weniger christlich ist als wir vermutet haben. Auch im Islam spielen die ersten beiden Menschen eine Rolle. Es ist also ein guter Ansatzpunkt für die Vermischung verschiedener Religionen. Auch wenn der religiöse Kontext an diesem Abend kein sehr wichtiger ist. Es geht um die Botschaft, wie die Künstlerin selbst sagt.
Vor der Bühne leuchten nun drei rote Neonröhren, vor denen die Bratschistin spielt. Eine schöne und schnell steigende äußerst harmonische Melodie. Ein Schwanken aus Leiser und Lauter, das schließlich in einem sirenenartigen Geräusch endet. Dazu verändert sich auch das Licht, es wird grün. Ein Lautsprecher übernimmt die Sirenen und die Künstlerin sagt einige Worte des Eva-Gedichts. Dann spielt sie wieder und auf der Leinwand erscheint ein Video, das eine Demonstration im Iran zeigt. Die dargestellten Szenen spitzen sich langsam zu, man sieht eine Person, die weggetragen wird, jemand liegt blutend auf der Straße. Unterdessen findet ein interessantes Zusammenspiel zwischen der Bratsche und den Lautsprechern statt, das sich auf faszinierende Weise ergänzt. Die Musik bricht zusammen mit dem Video abrupt ab und die Künstlerin geht auf die andere Seite vor die Bühne, hinter den baumartigen, weit verzweigten Ast. Sie spielt einen hohen, etwas abgehackten Sound. Besonders schrille Töne dominieren das Bild. Gegen Ende faucht die Bratsche regelrecht, dann ist es auch schon bald vorbei.
In der nächsten „Szene“ spielt Muriel Razavi hinter einer Stellwand, während auf der Leinwand Videos gezeigt werden. Die Pflanze und besonders die Frucht sind zentrales Motiv, es gibt ein wenig Text aus dem persischen Gedicht, der Name Eva kommt wieder vor. Die Musik untermalt all das und sorgt für ein sehr einprägsames Erlebnis. In den Bildern wird zuletzt das Thema Sterblichkeit angesprochen, verwelkende Blumen, ein ganzer Strauß, mit dem es zu Ende geht. Und das betrifft auch das Konzert selbst, denn nachdem die Künstlerin auf der Bühne „gestorben“ ist, wird das Publikum noch kurz mit unglaublich hellem Licht angestrahlt und eine Uhr schlägt. Der Gesamteindruck dieses Konzertes ist ein sehr Positiver. Klar, ein bisschen Pathos ist nicht abzustreiten, aber da die Zeit sehr gut bemessen ist und auch eine große Abwechslung sowohl auditiv, wie auch visuell existiert, ist all das sehr kurzweilig anzusehen. Auch sehr angenehm ist die recht passive Art, wie alles vermittelt wird. Die Bilder und Klänge kommen deutlich an, doch man wird nicht von ihnen überrollt. Und was könnte es für einen besseren Abschluss geben, als dass man sich die Äpfel von der Bühne mitnehmen darf.