Auch ohne Quellenangabe samt Beleg kann man behaupten, dass der Mensch nicht auf dem Stand wäre, auf dem er heute ist, wenn er nicht hin und wieder ein paar Sachen ausprobiert hätte. Das Schöne an neuer Musik ist, sie ist ein großes Versuchslabor, das aber eben nicht auf Professionalität und Talent verzichtet. Sie kann einem sehr experimentellen Konzept folgen, aber auch, je nachdem wie der Künstler oder die Künstlerin das möchte, einem starren Regelwerk unterworfen sein, nach dem dann so gearbeitet wird, dass man möglicherweise gar nicht mehr klar zwischen Kunst und dem Abarbeiten von vorgegebenen Mechanismen unterscheiden kann/muss. Aber das ist natürlich sehr vage und schwer zu definieren.
Was man dagegen fast schon als absolute Wahrheit bezeichnen kann, ist, dass diese Woche in Berlin an drei verschiedenen Standorten das Ultraschall-Festival stattfindet und dort Künstlerinnen und Künstler uns in eine Reihe von Klangwelten entführen werden, die dem Genre der Neuen Musik zuzuordnen sind. Im Zuge dieses Festivals werden auf unserem UltraschallReporter-Blog junge bis volljährige Menschen über die Aufführungen und Künstler*innen schreiben. Es wird um die Personen hinter der Musik gehen, die Werke selbst und manchmal einfach um Meinungen zu den jeweiligen Dingen. Denn es ist wohl alles andere als vermessen zu behaupten, dass Neue Musik Geschmackssache ist. Was man von dem Festival auf jeden Fall erwarten kann, ist also, dass es spannend für jede und jeden einzelnen wird – man wird sich fragen können „Gefällt mir das?“, „Was kann ich davon mitnehmen?“, vielleicht auch: „Was kann ich daraus lernen?“ Manche verlassen vielleicht das Gebäude, stecken sich ihre Airpods in die Ohren und kehren reuevoll wieder zu Pop, Rock oder Klassik zurück. Aber weil das Feld der neuen Musik eben so ein riesiges klangliches Experiment ist, wäre auch dies gar nicht schlimm, denn ein Experiment kann eben aus umwerfenden Ergebnissen bestehen und trotzdem völlig offen für neue Ansätze sein.
Es ist „Neue Musik“, es geht darum, etwas Neues zu schaffen und nicht der Mentalität hinterherzurennen: „Das hat vor zehn Jahren geklappt – lasst es uns kopieren.“ Das klingt jetzt sehr einem alten, verbitterten Typen, der mit seiner Tochter nicht zum zehnten Mal Spiderman im Kino sehen will – nur zur Vorbeugung von Missverständnissen: Ich bin 18, nicht 80! Und hier wären wir bei einem weiteren Punkt – dem Alter des Publikums. Der Durchschnitt liegt wohl über dem eines Konzerts von Blackpink oder Ed Sheeran, da man diese, vielleicht zuerst abschreckende Musik auch erst einmal entdecken muss – allein deswegen ist es einfach schön, dass es solche Festivals gibt! Und die einen mögen sie, die anderen nicht.
Ein paar Tage vor Festivalbeginn haben die Ultraschallreporter in einer Probe des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin mit dem Komponisten Bernhard Lang gesprochen, der ziemlich klar sagt, dass man diese Musik nicht mögen müsse. Er wählte den Vergleich mit Gnocchi – die einem besser schmecken, wenn man sie freiwillig isst, als „wenn man sie von seiner Mutter mittags auf den Tisch geknallt bekommt“. Insgesamt ist sein Standpunkt gegenüber dem Publikum durchweg entspannt. „Man mag die Musik – dann kann man sie gerne hören. Und wenn nicht, sollte man nicht dazu gezwungen werden.“ Diese ruhige und offene Betrachtung des Künstlers hat auch etwas mit der Musik zu tun, die er komponiert. Man probiert aus, und wenn etwas nichts wird, ist ein Experiment schiefgelaufen und nicht eine Existenz zerstört. Bernhard Langs Offenheit gegenüber Neuem ist in unserem Gespräch klar zu spüren. Wenn ihn eine musikalische „Art“ nicht mehr brennend genug interessiert oder ihm langweilig geworden ist – dann probiert er eben etwas Neues aus.Und genau das erwartet das Publikum bei Ultraschall Berlin: Viel Neues, vielleicht Verrücktes, vielleicht etwas, das einen berührt. In jedem Fall etwas, das man ausprobieren sollte!