„Weiter!“ ruft eine laute Frauenstimme in der Generalprobe des Ensembles LUX:NM, die am Freitag, 21.1.2022, um 13:00h deutscher Zeit stattfindet. Die Frauenstimme gehört, glaube ich, zu Ruth Velten, der Saxophonistin des Ensembles. Sicher kann ich mir allerdings nicht sein, denn ich selber höre nur aus der Ferne zu. Wegen eines Freiwilligendienstes, den ich derzeit mache, lebe ich in Oaxaca, Mexiko, mit sieben Stunden Zeitverschiebung zu Deutschland und damit zum UltraschallFestival. Doch das hat mich nicht davon abhalten können, mir meinen Wecker auf 6:00h zu stellen und einem Teil der Generalprobe zu lauschen. Eine Kollegin hält ihr Mobiltelefon in die Luft, die Zoom-Kamera für mich.
Nach dem energischen „Weiter“ wird ein bisschen auf der Bühne gewirbelt, bis das nächste Stück beginnt. Sogar über das Zoom-Mikrophon ist zu hören, wie das Ensemble mit einem gehaltenen Akkord den ganzen Raum zum Klingen bringt. „Ein Standbild“, ist meine erste Assoziation zu diesem Klang. Schon in unserem vorbereitenden Interview am Freitag hat mich Ruth Velten auf diese Besonderheit des Stückes „A map of horizons“ von Jesse Broekmann aufmerksam gemacht. „Jesse hat sehr viel mit Klangstrukturen gearbeitet“, hat sie erklärt. „Da gibt es Klänge, die die ganze Zeit parallel laufen und nur manchmal durch rhythmische Motive unterbrochen werden.“ Um das zu verdeutlichen, hat mir Ruth Velten sogar die Partitur des Stückes geschickt. Was hier (nach ganzen zwei Seiten mit Erklärungen) sehr schön zu sehen ist: Im größten Teil des Stückes erklingen die verschiedenen Instrumente in verschiedenen Kombinationen als gehaltene Akkorde, durch Taktwechsel und Dynamiken angereichert. „Klangteppiche“, auf den Begriff sind Ruth und ich gemeinsam gekommen.
„A map of horizons“ ist eines der Werke, das von LUX:NM in Auftrag gegeben wurde. Das Ensemble ist eine Gruppe aus Musiker:innen, die sich 2010 gegründet hat. Ruth erzählt, sie seinen „überhaupt nicht über die Besetzung zusammengekommen, für unsere Besetzung gab es zu dem Zeitpunkt fast gar nichts“, sondern über den Wunsch, gemeinsam Musik zu machen. Und so ist LUX:NM aus einem Saxophon, Posaune, Akkordeon, Klavier, Schlagzeug und zwei Celli entstanden. „Wir arbeiten auch immer mit Klangregie, das zählt auch noch zum Ensemble.“, ergänzt die Saxophonistin. Auf meine Frage, was das Ensemble auszeichne, antwortet Ruth mit zwei verschiedenen Aspekten: Charakteristisch für LUX:NM sei die Widerstandsfähigkeit und Offenheit. „Lux rauft sich in jeder Krise wieder zusammen“, sagt sie lachend und bezieht sich dabei nicht nur auf die Corona-Krise. Aber natürlich geht sie auch auf einen musikalischen Aspekt ein: Alle ihrer Kolleg:innen seien sehr offen für musikalische Vielfalt. Man bewege sich in Grenzbereichen zwischen Neuer Musik, Elektronik, manchmal Jazz oder Pop und hätte keine „Scheuklappen“. So sei es auch typisch für das Ensemble, Musik in Auftrag zu geben und selber Komponisten zu suchen.
Beim Ultraschall-Festival 2022 spielt LUX:NM fünf Stücke, von denen vier Auftragswerke für das Ensemble sind. „Wie geht ihr an so ein Stück ran?“ Der erste Schritt sei immer ein erstes „personal practice“, in dem sich jede:r erstmal alleine mit den Stück befasst, bevor es dann in eine gemeinsame Probenphase geht. In Fall dieses Programmes gab es im Dezember eine Vorprobenphase, in der recht schnell die Schwierigkeiten der einzelnen Stücke klar geworden seien, auf die die Hauptprobenphase mit Generalprobe folgte. Das Ziel von LUX:NM ist es, stets den „bestmöglichen Klang“ herauszuholen und für den Feinschliff in dieser Hinsicht ist die Generalprobe vorgesehen. „Wir probieren die Bühnenaufstellung aus, sodass wir im Ensemble am besten kommunizieren können, testen den Saal und die Klangregie prüft nochmal die Balance im Ensemble.“ Vermutlich deshalb brechen die Künstler:innen in der Probe immer wieder ab und Rufe wie „Nochmal ab Takt 35!“ sind zu hören.
Nachdem ich die Partituren gesehen und gehört habe, stelle ich mir das Proben und Spielen von Neuer Musik schwieriger vor als das Arbeiten von klassischer Musik. Sowohl Notation, als auch Klangresultat scheinen mir unfassbar schwer zu durchschauen. Ruth bestätigt mir, dass das Notenbild Neuer Musik oft nicht ganz einfach ist. Jede:r Komponist:in verwende eigene Zeichen, sodass jedes Stück ein „völlig anderes Notenbild“ habe. Daher gebe es häufig am Anfang eines Stückes eine Legende, die spezielle verwendete Zeichen erklärt. Ruth hebt aber auch hervor: „Wir machen das alle schon sehr lange und man gewöhnt sich an sehr viel.“ Trotzdem erfordere das Proben von Neuer Musik eine große Konzentration und Aufmerksamkeit. Denn an Muster in der klassischen Musik sei man durch viele Aufnahmen schon gewöhnt und begreife sie schneller. „Neue Musik ist komplex, aber auch dankbar, weil man nichts Vorgefertigtes hat und sich alles von alleine ergibt.“
Leider lässt sich diese Spannung und Konzentration, die während der Generalprobe auf der Bühne geherrscht haben muss über Zoom-Kamera und -Mikrophon nicht übertragen. Angekommen bei mir ist aber das Produkt, die vielfältige Musik und die gerufenen Anweisungen. Sie haben in mir die Lust geweckt, das Konzert in der Radioübertragung am Samstag anzuhören!