
Sarah Nemtsov ist eine Komponistin, die besonders aktiv im Bereich der Neuen Musik ist. Für das Ultraschall-Festival hat sie im Auftrag des RBB eine Filmmusik für einen Film geschrieben, in dem es um ein Mädchen in Indien geht, das auf einer Müllhalde lebt. Beim Werkstattbesuch der UltraschallReporter erzählt sie, welche Klänge sie dafür verwendet hat, aber ich will noch mehr wissen.
Frau Nemtsov, wie haben sie mit dem Komponieren angefangen?
Schon früh als Kind, ich habe mit Blockflöte angefangen. In derselben Zeit habe ich auch angefangen, Melodien für mich zu notieren, es war aber eher so, dass ich das nachahmen wollte, was für Musik ich da sonst gespielt habe, das war Barockmusik. Als Jugendliche habe ich mich dann mehr für Jazz interessiert und dann ist da was ich so notiert habe auch freier geworden und hat anders geklungen, natürlich. Mit 14 war ich das erste Mal bei „Schüler komponieren“, das war wichtig und ab da ist das dann ziemlich klar in diese Richtung gegangen, dass ich wusste: Ich will irgendwie Komponistin werden.
Und wie genau sind Sie zu neuer Musik gekommen? Die ist doch sehr weit entfernt von Musik im klassischen Sinne, sodass man nicht häufig damit konfrontiert wird.
Für mich war es erstmal so eine Art Umweg über den Jazz, ich habe dann auch ein paar Free-Jazz Stücke gehört, und das ist ja auch ästhetisch an einer Schnittstelle zu neuer Musik. Das heißt, ich bin über klassische Musik und in Verbindung mit Jazz bei einer Sprache gelandet, die schon ein bisschen in Richtung neue Musik ging, und dann hatte ich tatsächlich auch Kontakt mit Komponisten neuer Musik. Einerseits war mein Onkel Komponist, und der hat mir auch wichtige Sachen gesagt, zum Beispiel, dass ich nicht mehr am Klavier komponieren soll, sondern im Kopf. Und die Erfahrung bei „Schüler komponieren“ war, dass man dort eben andere Partituren gelesen hat.
Und ich hatte einen ganz großartigen Musiklehrer in Oldenburg, mit dem bin ich auch immer noch im Kontakt, Matthias Krol, der wird sogar zu der Uraufführung kommen, extra aus Oldenburg. Er hat das ganz früh gefördert, da war ich in der 7. Klasse in Oldenburg und war selbst so offen und hat einfach neue Musik mit in den Unterricht gebracht und hat auch mit dem Schulorchester solche neuen Sachen gemacht. Es wurde überhaupt nicht thematisiert, dass das irgendwie komisch wäre, es war eine Facette von Musik wie jede andere. Insofern habe ich das nie als Hürde empfunden, aber es gab ästhetische Schockmomente, wo ich dann plötzlich mit Stücken oder Ästhetiken konfrontiert wurde, die für mich neu waren, wo ich gedacht habe: Was ist das? Oder eine Ablehnung hatte. Und letztlich, dieser Schockmoment oder diese Neugier, das bleibt immer, auch jetzt habe ich solche Erlebnisse, wenn ich von Kollegen etwas höre. Oder auch in anderen Bereichen. Ich glaube, es dreht sich alles um das Offensein.
Was für einen Ansatz verfolgen sie, wenn sie selbst komponieren?
Ich trage immer die Stücke eine Weile in mir herum, das ist wichtig, damit ich weiß, was als Übernächstes kommt. Und das schon, während ich an dem arbeite, was ich gerade komponiere. Und dann versuche ich, herauszufinden, was das sein könnte, dass ich so eine Art Vision entwickele, und wenn die Vision stark genug ist, dann kann ich arbeiten.
Gehen sie eher von spontanen Ideen aus, oder suchen sie sich gezielt Inspiration?
Das ist ganz unterschiedlich, aber ich mag die Konfrontation von Strenge und Spontanität. Das es einerseits Konzepte gibt, und dort gibt es dann so einer Art „Clash“ mit den spontanen Ideen. Es gibt eine Art Grundbild oder eine Stimmung, wo ich ungefähr hinwill, das kann aber auch manchmal etwas ganz Außermusikalisches sein. Trotzdem denke ich beim Komponieren nur aus dem Klange heraus. Klanglich muss es für mich immer Sinn ergeben.
Wenn sie die Musikgeschichte betrachten, inwiefern unterscheidet sich neue Musik von klassischer Musik? Gibt es dort überhaupt einen Unterschied?
Klassische Musik war ja auch mal neue Musik. Ich finde auch spannend, dass man heute die Musik-Kategorien verschwimmen lässt, dass Musik aus dem Elektronik-Bereich plötzlich in den Konzert-Saal kommt. Wie es in allen anderen Dingen auch Moden, Präferenzen und Ausprägungen gibtgibt es sie auch in der Musik.
Es gibt viele Menschen, die sich vielleicht frage, ob das überhaupt noch Musik ist. Was ist ihre Definition von Musik?
Sie ist eine Art klanglich geführtes Erlebnis. Das heißt nicht, dass alles Harmonie oder Ton sein muss, sondern Musik kann auch Geräusch sein oder improvisiert.