„Der Anfang war zu spät.“ sagt die Klavierspielerin Antonia Köster während der Proben des „Notos Quartetts“. Wenige Sekunden später setzen die anderen Musiker der musikalischen Künstlergruppe, Sindri Lederer (Violine), Andrea Burger (Viola) und Philip Graham (Violoncello) mit ein. Die harmonischen Klänge der Streichinstrumente werden von dem leeren, stillen Raum wie ein Schwamm aufgesogen und übertragen eine positive Gefühlsatmosphäre im Konzertsaal des Radialsystems. Nach der Probe haben wir die Musiker interviewt und herausgefunden, dass es für alle eine äußerst aufregende Reise ist.
Müsst ihr euch an die Noten des Stückes halten, wenn ihr es bekommt oder habt ihr Freiraum beim Spielen?
Philip Graham: Es ist eine Mischung aus Beidem, einerseits sind die meisten Stücke genau beschrieben – genauso wie in diesem Stück. Da steht dann ganz genau, wann wir lauter, leiser und ein Vibrato spielen müssen. Die Spielanweisungen sind sehr exakt. Das heißt, erstmal versucht man das Stück so gut und genau wiederzugeben wie möglich. In diesem Fall haben wir auch mit zwei der Komponisten zusammengearbeitet, und da entsteht dann manchmal auch etwas Anderes oder man hat selber eine Idee, wie etwas Anderes auch noch besser klingen könnte.
Sindri Lederer ergänzt: Trotzdem ist der Notentext immer eine sehr abstrakte Darstellung vom Klang, und da gibt es natürlich schon viel Spielraum, wie man etwas gestalten kann. Es ist natürlich nicht immer hinreichend notiert, wie wir etwas zu spielen haben. Das ist wie mit Schauspielern. Wenn diese einen Text bekommen, müssen sie aus den Wörtern auch erst einmal eine Stimmung schaffen.
Also stimmt ihr euch dann untereinander ab, wie man in den Stücken etwas interpretieren kann?
Antonia Köster: Wir reden darüber. Zum Beispiel steht bei El Chan, dem Stück von Bryce Dessner für die Darstellung über jedem Satz ein Titel, meinetwegen ein See. Und dann gibt es verschiedene Spielanweisungen. Sein es unterschiedliche Tremolo oder Vibrato. Und dann sprechen wir natürlich darüber: Was soll es darstellen, was können wir uns vorstellen oder welches Bild erzeugen wir. Durch das Gespräch kommen wir dann auf eine gemeinsame Idee.
Es ist doch sicherlich schwierig, sich ohne Dirigenten abzusprechen. Gibt es in eurem Quartett jemanden, der den Ton angibt?
Antonia Köster: Im Prinzip hat schon jeder seine eigene Meinung und die soll er auch haben und aussprechen! Aber im Konzert ist es dann öfter so, dass dann die Geige die Rolle des Dirigenten übernimmt.
Sie haben vorhin gesagt, dass Ihre Stücke immer einem Thema unterliegen. In dem Satz von Bryce Dessner ging es um einen See. Zu welchen Themen spielen Sie aktuell noch?
Wie Antonia Köster verrät, geht es In diesem Stück um verschiedene Orte in Mexiko. Überwiegend handelt es aber von Landschaften.
Philip Graham: Das Stück Gravity von meinem Vater David Graham ist inspiriert von physikalischen Phänomenen. Genauer gesagt von den sogenannten Gravitationswellen, die erst vor einigen Jahren im Weltall entdeckt worden sind. Und es geht darum, dass wenn große Ereignisse im All passieren, sich die ganze Raum-Zeit durch Wellen, die sich wegbewegen verändert. Ähnlich, als würde man einen Stein in einen Teich werfen. Es hat ihn so fasziniert, dass er darüber ein Stück geschrieben hat. Die drei Sätze des Stückes haben auch unterschiedliche Namen. Der erste heißt Ripples und es geht um die Wellenbewegungen. In dem zweiten Satz der Rotations heißt, geht es um zwei große, schwarze Löcher, die, wenn sie aufeinander treffen, im großen Knall verschmelzen. Und im dritten Satz, in dem es dann ein wenig melodischer wird, ist der Human Factor. Sozusagen das Ganze auf den Menschen übertragen. Anziehungskräfte zwischen uns.
Wie lange braucht ihr für ein Stück (z.B. Gravity) bis es auf der Bühne vorgespielt werden kann?
Philip Graham: Da haben wir erst gestern drüber gesprochen. Das ist wirklich wahnsinnig schwierig zu sagen. Bei neuen Werken, wie in diesem Fall, ist es auch relativ schwierig einzuschätzen, wann das Stück fertig ist. Da hat man gar nicht die Wahl, so lange zu brauchen, wie an möchte. Ich glaube, dass kann man nicht wirklich so pauschal sagen. Bei Gravity ist es sehr wichtig, dass jeder vorher seine Stimme gut spielen kann. Bei dem Stück von Morton Feldmann ist es sinnvoll, wenn man das Stück bereits am Anfang im Ensemble zusammen probt. Also jedes Stück hat seine eigenen Schwierigkeiten.
Antonia Köster: Bei Gravity hatten wir relativ wenig Zeit, bis das Stück sitzen musste. Und am Ende kann man ja immer noch etwas ändern und daran weiterarbeiten. Aber ein Stück wird nie fertig. Work In Progress sozusagen.
Das Notos Quartett spielt Melodien von früher und heute. Werke, die nicht nur in Erinnerung bleiben, sondern auch die aktuellen Geschehnisse unserer Zeit aufgreifen.