Die eigenen Gedanken und Vorstellungen werden vollkommen auf den Kopf gestellt. Gefühlt, passiert momentan genau das gleiche in der Musik. Wir schreiben die Epoche der Neuen Musik!
Vor einigen Wochen war ich Zuschauerin einer Probe des Ensembles „LUX:NM“. Es wurde das Stück „Journal“ von Sarah Nemtsov für eine Tournee in Spanien geprobt. Zuvor noch nie einen Ton Neue Musik gehört habend, sprang ich ins kalte Wasser und die Erfahrung ist kaum in Worte zu fassen. Vollkommen überrascht, versuchte ich mir Notizen zu meinen Eindrücken aufzuschreiben. Es gab nur ein Problem – ich konnte meine aufkommenden Gefühle gegenüber der Musik nicht in Stichpunkte verfassen. Ich spürte eine einzige Überraschung, ob sie positiv oder negativ war, konnte ich noch nicht sagen.
Die starke Lautstärke des Stücks war eins der ersten Dinge, die mir auffielen. Es strengte mich an, zuzuhören. Ich merkte schnell: Als Zuhörer sollte man unbedingt aufmerksam bleiben und ganz genau die Ohren spitzen, sonst verfliegt das Gefühl, hier wirklich Musik zu hören. Bleibt man jedoch fokussiert, wird der eigene Verstand von der Musik um Meilen erweitert. Eins ist klar, zur Entspannung ist diese Musik dennoch nicht geeignet.
Anfangs hörte sich das Musikstück etwas schräg an, aber nach einer gewissen Zeit, genau richtig. Denn mir ist klar geworden, dass es in diesem Musikstil keine Tabus gibt. Es wird nicht nur mit dem Klang der herkömmlichen Instrumente gearbeitet. Komponisten Neuer Musik nutzen viel mehr Möglichkeiten, um ihr Stück wirklicher erscheinen zu lassen. Sie erfinden die „a“s und „d“s ganz neu. Diese werden auch Samples genannt und von einer „Keystation“ gespielt. Das kleine Keyboard ist an ein MacBook angeschlossen, worauf sich die Samples der Komponistin befinden. In „Journal“ bekam das „a“ eine komplett neue Bedeutung, da es zu einem anderen Klang wurde, zum Beispiel ein Aneinanderschlagen von zwei Töpfen oder für das „d“ steht ein Prasseln. Genau an dieser Stelle passiert das Umdenken. Töne sind überall. Musik ist überall.
Diese Methode Musik zu machen, bringt eine besondere Eigenschaft mit sich. Die Komposition steckt nun voller Überraschungen, selbst nach dem zehnten Mal hören.
Meiner Meinung nach hat sich mit dieser Herangehensweise noch etwas anderes geändert. Aufgrund der benötigten Aufmerksamkeit des Publikums, geht es nun nicht mehr darum, sich als Außenstehender in ein Konzertsaal zu setzen und sich von Klängen und Melodien berieseln zu lassen. Der Zuhörer wird vollkommen aus seinem Leben in die Welt der Geräusche und unendlichen Möglichkeiten gezogen. Ebenso gibt es eine große Umstellung für die Musiker selbst. Sie werden zu Darstellern und ihre Performance wird ein wichtiger Teil des Musikstücks. In „Journal“ liest ein Mann aus einer Zeitung vor, während das restliche Ensemble weiterspielt. Seine Stimme und wie er vorliest, wird ein Teil der Komposition. Dieser Teil der Komposition hat mich sehr beeindruckt, da die Musik dem Publikum noch einmal ein großes Stück näher gekommen ist.
Letztendlich sind das Verlockende und Besondere an der Neuen Musik die unendlichen Möglichkeiten. Natürlich war Musik allgemein schon ohne Ende. Dennoch fühlt es sich so an, als wäre die Unendlichkeit durch Neue Musik viel größer geworden.