Klassisch und schlicht beginnt das Konzert des ensemble recherche in der Heilig-Kreuz-Kirche. Lediglich in Begleitung des Cellos singt der Countertenor Daniel Gloger die Arie Here the deities approve, und einen Moment lang frage ich mich, ob ich im richtigen Konzert sitze. Doch ein Blick ins Programmheft versichert mich, dass Purcells Arie aus Welcome to all the pleasures zunächst vorgestellt wird, bevor die davon inspirierten Werke verschiedener zeitgenössischer Komponisten zu hören sind. Was nun kommt, ist facettenreich. Nicht immer klingt der Bezug zu Purcell in den kurzen Stücken durch, aber das ist auch gar nicht das Entscheidende. Viel wichtiger ist, zu welch unterschiedlichen Ergebnissen die Künstler kommen. Da sind Werke mit und ohne Sänger, mit kompletter oder minimaler Ensemblebesetzung, mit traditionellen und unkonventionellen Klängen.
An manchen Stellen wünsche ich mir einen besseren Blick auf das Ensemble, denn viele der Künstler haben auch mit szenischen Elementen gearbeitet. In Francesco Filideis …and here they do not bemerke ich erst spät die Violinistin, die sich pantomimisch wie eine aufgezogene Puppe bewegt. Bei einem anderen Stück vernehme ich die Geräusche fallender Bleistifte und Schlüsselbunde und Glas, im Glauben, sie seien von den Instrumenten erzeugt. Im Gespräch mit der Komponistin Sarah Nemtsov erfahre ich jedoch, dass genau dies auf der Bühne passiert ist. Bei Iris ter Schiphorsts Stück setzen alle Musiker eine Clownsmaske auf. Die Körpersprache wird mit einbezogen: ´Der Sänger hebt die Schultern, schlägt die Hände vor den Mund, am Ende hüpft er den Mittelgang der Kirche entlang und sagt laut und trotzig: „Ich möchte lieber nicht!“
Manchmal kann ich auch einfach die Musik zu mir sprechen lassen. Da höre ich eine aufgezogene Spieluhr in Sergej Newskis lamento traffic und Töne, die wie Wasserperlen klingen. In Trance befinde ich mich bei Henry in the Sky with Diamonds von Daniel Zea. Klangschwaden hängen wie Rauch in der Luft und wabern zum Dach des Kirchenschiffs. Die Töne und Klangfarben vermischen sich, die Musik ist dröhnend, vibrierend, sphärisch, und wenn ich Licht hören könnte, würde es so klingen. Später erfahre ich, dass dieses Stück als psychedelisch beschrieben wird und merke, dass es eben jene Wirkung auf mich hatte.
Wer kennt es nicht, das Nerv tötende Klingeln, das nicht enden will, den Wecker, das Vibrations-Nachrichtensignal, das Tastenklappern und Nummern tippen? Miroslav Srnka vertont die augenblicklich wiedererkennbaren Melodien unserer Handys und Smartphones instrumental und transportiert damit den Mythos von Orpheus und Eurydike ins Heute.
So und noch ganz anders erklingt Musik nach Purcells Arie in diesem Konzert bei Ultraschall Berlin. Ich bin begeistert von den vielen Facetten der Werke.
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