Die im kroatischen Split geborene Mirela Ivičević gehört zur quirligen Neue-Musik-Szene Wiens, ist Mitbegründerin der Avantgardeschmiede Black Page Orchestra und wird zuweilen als »junge Wilde« beschrieben. Sie selbst sagt: »Meine Musik ist Sonic Fiction, die aus Realitätssplittern besteht, entführt aus ihrem natürlichen Umfeld in eine surreale Welt, mit dem Ziel, aus ihnen alternative Klangkonstellationen und Erlebnisse zu schaffen, die helfen können, ihren Wirklichkeitsursprung besser zu verstehen oder zu transformieren.« Ihr Kammerwerk Čar für Bassklarinette, Violoncello und Klavier hat Mirela Ivičević für das Trio Catch komponiert. Das Stück wurde von den drei Musikerinnen 2016 beim Festival Klangspuren Schwaz in Tirol uraufgeführt. Die Komponistin hat explizit auf die Wortbedeutung des Titels hingewiesen: Auf Serbisch und Kroatisch heißt Čar so viel wie »Reiz«, im Sinne von »das, was anzieht, begeistert, hinreißt«, aber auch »Zauber« oder »Fluch« in der Bedeutung des Verhexens einer Person. Mirela Ivičević bemerkte in einem Kommentar zu ihrem Stück mit Verweis auf die aktuelle Situation in ihrer Heimat Kroatien: »Magische Rituale waren schon immer sehr verbreitet unter den Völkern Ex-Jugoslawiens. Dies wäre also möglicherweise ein exotisch-romantischer Titel, wäre es nicht so, dass die Frauenrechte in Kroatien gerade mit Füßen getreten werden, sodass sich jede halbwegs frei denkende und handelnde Frau fühlt, als ob sie tatsächlich a granddaughter of he witches they haven’t been able to burn ist, und zwar in dem Moment, in dem die Scheiterhaufen wieder angezündet werden. Es war also ein eher trauriger Anlass hinter der Absicht, die eigene ›magische‹ Kraft zu zelebrieren. Aber umso wichtiger ist es, dieses tatsächlich zu tun, finde ich.« Dies gelingt in hochkonzentrierten fünf Minuten mit pointierter Kraftentfaltung, improvisatorischer Vedichtung und einzelnen Performance-Elementen. »Energetisch hochkonzentrierte Absätze, sampling-ähnliche schlagartige Änderungen, der Versuch, Unterschiedlichkeiten zu konstruktiver Koexistenz zu bringen, sind meist Merkmale meiner Stücke. Ursprung der rhythmischen Mikrostrukturen waren hier die Zaubersprüche aus Ritualen, die mir bekannt sind«, so Mirela Ivičević über ihr komponiertes Ritual Čar.
Eckhard Weber