Georg Friedrich Haas: ein Saitenspiel (2002)
“Es wurde mir sehr früh bewusst, dass jene Tonhöhen, die mir das Klavier bietet, nicht die Gesamtheit der musikalisch sinnvoll verwendbaren Tonhöhen bilden.”, sagt der Komponist Georg Friedrich Haas, der den Vorrat an zwölf Tönen, welche die europäische Kunstmusiktradition bereithält, als viel zu beengend empfindet. Voller Neugierde musikalisches Neuland betreten und sich konsequent und unerschrocken auf Klangabenteuer mit ungewissem Ausgang einlassen, diese Haltung bestimmt die Musik von Georg Friedrich Haas. Dementsprechend erforscht er in seinen Werken oft mikrotonale Bereiche – und darin nicht bloß Vierteltöne, also die exakte Teilung eines Vierteltonabstands, sondern auch alles dazwischen. Saiteninstrumente bieten sich für diese Klang-Expeditionen vor allem an, weil sie leicht umzustimmen sind. Deshalb hat sich Haas auch 2002 der Zither in seinem kurzen Stück ein Saitenspiel gewidmet. Hier konnte er das ausprobieren, was er am liebsten macht: “Was mich interessiert, ist das Finden und Entwickeln von neuen Klangqualitäten, sei es durch Reibung und Schwebung oder durch den Aspekt der Verschmelzung.”, hat er einmal bekannt.
Hannes Seidl: Twisted Strip (2002) 17’
Die Form einer Möbius-Schleife erhält man, wenn man beispielsweise einen Papierstreifen als Ring zusammenklebt, dessen eines Ende man zuvor um 180 Grad gedreht hat. Als Ergebnis hat man einen Ring, dessen Innenseite in die Außenseite übergeht. Genau dieses Prinzip hat Hannes Seidl als kompositorisches Prinzip für sein Zither-Stück Twisted Strip (“verdrehter Streifen”) gewählt. Hannes Seidl erklärt dazu: “Ausgehend von dem Film Lost Highway von David Lynch ist dieses Stück auf einer möbialen Struktur aufgebaut. Das ‘nahtlose’ Umschlagen von Vorder- und Rückseite wird auf verschiedene Weise auf klanglicher und struktureller Ebene umgesetzt. Zentral ist eine Stelle, an der mit einem Gleitstahl (Bottleneck) auf den Freisaiten hin und her glissandiert wird. Der Spieler zupft immer abwechselnd links und rechts vom Gleitstahl, so dass der gezupfte Ton erstens immer dieselbe Tonhöhe hat und zweitens immer aufwärts glissandiert. Durch die lange Ausschwingdauer der Saite und den Umstand, dass kein Teil der Saite gedämpft wird, erklingt gleichzeitig aber immer auch ein Abwärtsglissando des vorhergehenden Anzupfens. Es entsteht also eine klanglich paradoxe Situation, an der der Umschlag des Aufwärts- in ein Abwärtsglissando nicht genau festzulegen ist. Jene oben genannte Nahtstelle ist nur individuell vom Hörer festzulegen.”
Leopold Hurt: Neues Werk (2013/14. UA)
Sein Solo-Repertoire umfasst nicht nur zeitgenössische Originalkompositionen, sondern auch Intavolierungen aus dem mittelalterlichen Codex Montpellier, sowie Bearbeitungen von Werken von Diego Ortiz, John Dowland und Johann Sebastian Bach. Wer Leopold Hurt hört, hat bald das Klischee der Zither als Folkloreinstrument alpiner Herkunft vergessen. Dennoch spielt Hurt gerne auch mit den Assoziationen, die das Instrument landläufig hervorruft. Allerdings kommt er dabei zu gänzlich anderen Ergebnissen als man erwarten könnte. In einem Interview hat Leopold Hurt einmal zu Protkoll gegeben: “Gerade in der Volksmusik ist das ein komplexes Unterfangen. Ähnlich wie in der Alten Musik ist die Gefahr latent vorhanden, dass das Material innerhalb einer künstlerischen Auseinandersetzung nostalgisch verbrämt oder ‘restauriert’ wird. Das ist jedoch kein Thema für mich: ich sehe die Musik vielmehr dort, wo sie soziologisch verortet ist. Abseits von institutioneller Pflege und touristischer Folklore interessieren mich die vorhandenen Spuren einer ungeschönten, ‘schmutzigen’ Musizierpraxis. Ihre Geschichte bietet für mich eine Reibungsfläche, in der ich Übergänge zwischen konkreter Abbildung und Abstraktion herstellen und dabei unverbrauchte Klangmöglichkeiten des Instrumentariums nutzen kann.”
Roland Moser: “…sehr mit Bassstimme sanft…” Hommage à Friederike Mayröcker (2011)
Die sogenannte “Wiener Stimmung” wurde für den Kontrabass in der Zeit der Wiener Klassik eingesetzt. Gegenüber der heutigen Quartenstimmung des Instruments stimmte man die oberen drei Saiten in Terzen, zudem wurden dünnere Saiten aufgezogen, was ein virtuoses, sehr bewegliches Spiel ermöglichte. Edicson Ruiz hat diese spezifische historische Stimmung für den modernen Kontrabass aufgegriffen und Komponisten unserer Tage nach Werken dafür angefragt. Roland Moser fordert in seinem 2011 für Ruiz geschaffenen Stück zudem eine möglichst “reine” Stimmung, die also jenseits der gleichschwebend temperierten Stimmung liegt, so dass die einzelnen Intervalle charakteristischer und unverwechselbarer hervortreten.
Das Stück beginnt mit einer “Einstimmung” auf die für heutige Ohren womöglich ungewohnten Tonverhältnisse, ähnlich wie einst etwa die Lautenspieler der Renaissance mit einer Toccata die Stimmung ihres Instruments überprüften. Mosers Kontrabass-Stück konzentriert sich zunächst vor allem auf die Klänge der leeren Saiten und auf deren Obertöne. “Nebenbei ist’s vielleicht eine Etüde für Linke-Hand-Pizzicato (›Harfenschlag‹), auch cantabile!” hat der Komponist einmal bemerkt. Im kleinteiligen, überaus abwechslungsreichen Mittelteil folgen rasche Wechsel zwischen Bogen und verschiedenenartige Pizzicati aufeinander. Ein Abschnitt darin ist auch von dem titelgebenden Vers aus dem Gedicht Widmung Teil 4 von Friedrike Mayröcker inspiriert. “Sie ist mir eine der liebsten Autoren der Gegenwart.” hat Moser einmal erklärt. Diese Passage seines Stücks nennt er sogar eine “Textvertonung”, wenngleich das Gedicht zur Musik nicht rezitiert werden solle, denn der Spieler lasse ja das Instrument sprechen. Der dritte Teil des Stücks hat die Funktion eines Kehraus. Moser sagt dazu: “Der Walzer soll als selbständiger dritter Teil nach all den kleinen Sachen ein bisschen ‘aufräumen’, im Trio mit einem leicht sehnsüchtigen Blick zurück.”
Rudolf Kelterborn: Kontrabass-Notenheft (2012)
“Das Kontrabass-Notenheft (für Kontrabass in Wiener Stimmung A-D-Fis-A) komponierte ich 2012 für Edicson Ruiz. Es besteht aus fünf knappen Sätzen. Zwischen den Sätzen 2 und 3, 3 und 4 sowie 4 und 5 erklingen je ein oder zwei ‘Ein-Fälle’: Isolierte, extrem kurze musikalische Einfälle, gestische Einwürfe von wenigen Sekunden Dauer. Zwischen den Sätzen und den Ein-Fällen gibt es indessen vielfältige versteckte und offene Bezüge, so dass das Notenheft doch ein Ganzes bildet«, schreibt Rudolf Kelterborn. Tatsächlich bedeutet für Kelterborn Komponieren vor allem, “ein dichtes Netz von Bezügen schaffen, offensichtlichen und verborgenen”, wie er einmal erklärt hat. In seinem Solostück für Kontrabass besteht dieses Beziehungsgeflecht aus resoluten, kraftvollen Gesten, aus einem breiten Spektrum an Geräuschaspekten im Klang, der Ausnutzung perkussiver Qualitäten des großen, resonanzreichen Instruments, aber auch aus dem Einsatz zartester Flageoletttöne und volltönend kantabler Phrasen. “Ich verstehe Musik als Ausdruckskunst (…) Bei meiner eigenen Arbeit steht das Bemühen um größtmögliche Ausdruckskraft immer im Vordergrund, und dieses Bemühen ist noch bei den handwerklich-kompositorischen Vorgängen absolut bestimmend.”, hat Kelterborn einmal über seine Werke insgesamt gesagt.
Heinz Holliger: Preludio e Fuga a 4 voci (2009)
“Meine ganze Beziehung zur Musik ist so, dass ich immer wieder probiere, an die Grenze zu kommen.”, hat Heinz Holliger einmal bemerkt. Exemplarisch dafür steht sein Solostück Preludio e Fuga, das er für Edicson Ruiz komponiert hat. Es steht im Ruf, eines der schwersten Werke zu sein, das jemals für das Instrument geschrieben wurde. Holliger selbst hat über sein Stück gesagt: “Wie schon in den Kompositionen Eisblumen, Violinkonzert, 3 Skizzen für Violine und Viola und vor allem im 2. Streichquartett habe ich mich auch in Preludio e Fuga für Kontrabass von den faszinierenden Möglichkeiten der früher so selbstverständlichen ‘Scordatura’ zu einer weiteren Entdeckungsreise in mir (und dem Kontrabass?) noch wenig bekannte Territorien ermutigen lassen.
Die sogenannte ‘Wiener Stimmung’, in den wichtigsten Repertoirestücken des Kontrabass (Konzerte von Vanhal, Dittersdorf, der wunderbaren Konzert-Arie von Mozart) eigentlich eine Conditio sine qua non, ermöglicht dank Terzabstand zwischen erster bis dritter Saite und dank den dünneren, leichter ansprechenden Saiten ein viel natürlicheres, virtuoseres Spiel. Der Klang ist transparenter, nie ›brummig‹. Die Möglichkeiten des Flageolett-Spiels sind quasi grenzenlos, jedenfalls für den wunderbaren Musiker Edicson Ruiz, dem mein Stück gewidmet ist. Es besteht aus einem sehr weit ausgreifenden ‘Prélude non mesuré’, aus dessen fast irrealem Klanggeflimmer immer mehr motivische Partikel hervortreten, die sich nach und nach zu den Elementen einer sehr dichten 4-stimmigen Fuge zusammenfügen.”
Das erwähnte, ausgedehnte Präludium wartet mit einer Fülle von Flageoletts, Glissandi, Tremoli, rasend schnellen Läufen und Umspielungen, Ton-Pirouetten, perkussiven Tönen, Geräuschhaftem und schlicht Unfassbarem für den Kontrabass auf. Anschließend hat der Spieler noch eine quasi vierstimmige Fuge zu bewältigen, die sich aus verschiedenen Motivpartikeln zusammenfügt, um in einem tosenden Presto schließlich die Zielgerade zu erreichen. Eine wahre Tour de force.