Drei Ensembles, sechs Komponisten – ein Projekt
Ein (fiktives) Gespräch über New Forum Jeune Création
“Man könnte sagen, dass ein Netzwerk dazu tendiert, Schranken in Schwellen zu verwandeln. Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sie schwer fassbar, ephemer und insofern flüchtig sind. Netzwerke können daher in einem Augenblick universal erscheinen und sich im nächsten Moment in Luft auflösen.”
Dieses Zitat des Politikwissenschaftlers Antonio Negri – ein Plädoyer für das Netzwerk als kulturelle Arbeits-, ja Existenzform – steht als Motto über dem Projekt New Forum Jeune Création. Vor mehr als drei Jahren begann die Arbeit daran, im Januar 2012 trat es an die Öffentlichkeit, mit einem denkbar attraktiven Angebot an junge Komponisten: über zwei Jahre hinweg kontinuierlich mit einem von drei europäischen Ensembles zu arbeiten, neue Stücke und neue Konzepte zu entwickeln. Beteiligt waren drei Ensembles aus drei europäischen Ländern, aus Frankreich, Belgien und Deutschland, federführend war Grame, das renommierte Centre national pour la création musicale in Lyon. Sechs Komponisten wurden ausgewählt und mit jeweils einem der drei Ensembles verkuppelt. Von Januar bis März 2014 werden die neu entstandenen Stücke in allen drei Ländern zu hören sein. Die Uraufführung aller Werke findet bei Ultraschall Berlin statt, kurz darauf werden sie im De Single in Antwerpen zu hören sein und dann im März auch bei der Biennale Musique en Scène in Lyon.
Zeit, ein Resümee dieses langen Prozesses zu ziehen, und zwar aus den unterschiedlichen Perspektiven der daran Beteiligten. Das nachstehende Gespräch hat so nie stattgefunden. Es wurde kompiliert aus Gesprächen mit Johannes Kreidler (TK), einem der ausgewählten Komponisten, Tiziano Manca (TM), als Komponist Mitglied der Auswahljury, und Bettina Junge (BJ), Flötistin im ensemble mosaik.
Drei Ensembles haben in diesem Projekt zusammengearbeitet. Kannten sich die Musiker schon vorher?
BJ Ich kannte die anderen Ensembles nur vom Namen, Konzerte hatte ich noch nicht besucht. Die Initiative ging von Lyon aus, und wir fanden das Projekt spannend, weil es auf unserer Linie liegt, mit jungen Komponisten Stücke zu entwickeln. Und auch der Schwerpunkt auf Live-Elektronik und Video war etwas, was uns sowieso interessiert.
Vielleicht sogar am stärksten von allen drei Ensembles.
BJ Ja, das kann sein, wobei ChampdAction ebenfalls viel mit Elektronik arbeitet, allerdings mit ganz anderen Komponisten als wir. Es sind schon drei sehr unterschiedliche Ensembles, aber das macht es ja auch spannend für das Publikum.
Aus über 170 Einreichungen wurden letztlich sechs Komponisten ausgewählt. Nach welchen Kriterien ist die Auswahl erfolgt?
TM Es waren Einreichungen aus der ganzen Welt, und es war für mich interessant zu sehen, was die jüngere Generation macht. Es gab einige Komponisten, die sich stark mit anderen Künsten beschäftigen, besonders dem Tanz und der Bildenden Kunst. Und es gibt eine Reihe von Komponisten aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern, die sind sehr aktiv. Sie haben vielleicht noch nicht ganz die Reife, aber sie haben wirklich interessante, manchmal auch schräge Ideen. Die Entscheidung fiel jedenfalls nicht leicht, und es hätte durchaus auch noch andere Komponisten gegeben, die ich ebenfalls interessant fand.
Auffällig war, dass es immer noch starke nationale Strömungen gibt. Das hat nicht unbedingt mit der Herkunft der Komponisten zu tun, sondern mit der Schule, aus der sie kommen, und dem Lehrer, bei dem sie studiert haben. Das ist nicht unbedingt negativ, aber das Hauptthema des Wettbewerbs war ja ‘Network’, und da würde ich schon auch Neugierde erwarten und nicht das Beharren auf der eigenen Tradition.
Wie haben sich Komponisten und Ensembles gefunden? Waren das ‘arrangierte Ehen’?
JK Man konnte eine Priorität angeben, für mich wären nur ensemble mosaik und ChampdAction in Frage gekommen. Mit Mosaik habe ich schon öfter zusammenarbeitet. Und ich habe einige Beziehungen nach Belgien, zum Beispiel zum Nadar Ensemble, deshalb war ich neugierig auf ChampdAction. Das Ensemble hat einen guten Ruf in Belgien, es ist groß und hat eine gute Auswahl an Instrumenten. Für mein Stück habe ich tatsächlich zwei Schlagzeuger und zwei Pianisten benötigt, und dass ich mir das so auswählen konnte, war schön.
TM Letztlich hatten in der Jury die Ensemblevertreter das entscheidende Wort, weil es ja auch die Zusammenarbeit zwischen Komponisten und Ensembles ging. Es ist klar, dass die Ensembles am Ende Komponisten gewählt haben, die sie haben wollten, die ihrem Geschmack und ihrer Idee von Neuer Musik heutzutage am ehesten entsprechen. Ich glaube, gerade bei so einem Thema hätten wir auch einen anderen Ansatz wagen können. Zum Beispiel: Von zwei Komponisten ist einer jemand, der mir richtig passt, aber der andere ist einer, mit dem ich sonst nie zusammenarbeiten würde.
BJ Wir haben natürlich mit Eduardo Moguillansky einen alten Bekannten, mit dem wir schon mehrfach gearbeitet haben, das ist ein Komponist, der uns interessiert und zu uns passt. Aber Aurélio Edler-Copes kannten wir vorher nicht, den haben wir neu kennengelernt bei diesem Projekt, da sind wir sehr neugierig.
Der Vorteil dieser engen Bindung zwischen Komponisten und Ensembles ist, dass tatsächlich über die ganze Zeit hinweg intensiv miteinander gearbeitet werden konnte.
JK Ich kann die künstlerische Arbeit nicht anders als paradiesisch nennen, was einem da geboten wurde, das habe ich selten so erlebt. Dass ich schon ganz früh im Vorfeld mit den Musikern proben konnte, auch Dinge ausprobieren konnte, dass endlich einmal ausreichend Probenzeit zur Verfügung stand. Man hatte auch die Möglichkeit, schon bei den Proben die ganze Elektronik und das Video dabei zu haben, das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit.
BJ In unserem Fall war Eduardo Moguillansky letztes Jahr hier und hat die neuen Instrumente, die er gebaut hat, vorgestellt. Aurélio Edler-Copes hat mit Ernst Surberg ausgiebig an einer achteltönigen Hammondorgel experimentiert, die jetzt auch zum Einsatz kommt. Beide sind davon sehr begeistert.
TM Solche Projekte sind sehr wichtig, denn wir brauchen nicht noch mehr von diesen klassischen Bewerbungen, bei denen man sich mit einem Stück bewirbt, ausgewählt wird und basta. Hier entsteht eine richtige Kollaboration mit dem Ensemble. Und das ist sehr positiv für alle Partner.
‘Netzwerk’ ist der Grundgedanke des gesamten Projekts. Wie hängt das aber nun alles miteinander zusammen? Auf Ensembleseite gibt es drei sehr unterschiedliche Ensembles. Auf Seite der Komponisten gibt es sechs sehr unterschiedliche, extrem individuelle Künstler, die sich am Ende alle in einem Konzert wiederfinden. Hatten Sie untereinander Kontakt, haben Sie sich gegenseitig beobachtet?
JK Ich habe die anderen Komponisten nicht beobachtet, aber ich bin schon sehr neugierig auf das Konzert. Ich kannte bis auf Eduardo Moguillansky keinen Kollegen, und ein bisschen hat man sich natürlich durch das Projekt schon auch kennengelernt. Auch bei dem Konzert, das letztes Jahr bei Ultraschall Berlin die Komponisten mit existierenden Werken schon einmal vorstellte. Da konnte man hören, was jeder so komponiert. Aber ich möchte mich letztlich davon doch ganz unabhängig machen. Kommuniziert über das Projekt habe ich nicht.
TM Die Idee des ›Networking‹ wurde letztlich sehr frei gestaltet. Fast alle Komponisten haben sich nur sehr allgemein mit dieser Idee beschäftigt. Ich hätte mir gewünscht, die Diskussion mehr in diese Richtung zu treiben. Das ist nicht passiert, weil die Kriterien sehr schwer zu definieren sind, nach denen die Partituren hätten ausgewählt werden sollen. Aber man muss auch aufpassen. Wir können nicht jungen Komponisten sagen, sie müssten sich in diese oder jene Richtung entwickeln. Junge Komponisten brauchen den Freiraum, sich selbst zu entscheiden. Ich hätte mir aber schon gewünscht, dass sich die Ensembles mehr mischen.
JK Was mich freut, ist, dass ich durch dieses Projekt endlich die Gelegenheit bekomme, bei einem großen Festival in Frankreich aufgeführt zu werden, wo ich bisher so gut wie gar nicht gespielt werde.
BJ Die Ensembles haben sich 2012 bei einem Treffen in Lyon genauer kennengelernt, aber einen kontinuierlichen Austausch gab es nicht wirklich. Wir werden uns bestimmt auch auf der gemeinsamen Tour in den nächsten Wochen noch besser kennenlernen. Aber es nicht so, dass unsere jeweilige Arbeitsweise durch das Projekt beeinflusst wird.
TM Das Projekt ist ohne Frage positiv, aber es ist natürlich auch nur ein erster Schritt. Die sechs Komponisten sind gut, ich bin sicher, dass jeder sein Bestes gibt. Das Projekt kann sich sehr positiv gerade auf junge Komponisten auswirken, die schon eine gewisse Persönlichkeit haben, aber noch Gewohnheiten mit sich herumtragen, die von ihren Lehrern herkommen.
Haben Sie alle, jeder in seinem Bereich, jenseits der persönlich etwas gelernt bei diesem Projekt?
JK Ja, klar. Für mich besteht immer der Anspruch, in jedem Stück etwas Neues zu schaffen. Weil ich an eine spezifische Energie glaube, die etwas bekommt, wenn man sich etwas erobert. Bei Slide show music war für mich der Ansatz, eine atmosphärische Neue Musik zu schreiben, das war für mich bisher immer verboten. Die Tradition, aus der ich komme, sagt, dass man permanent Dinge gegeneinander montiert, so dass sich keine singuläre Atmosphäre ausbreitet. Diesen Versuch habe ich jetzt unternommen. Es ist eine Art Diashow, eine Filmmusik mit Ready-mades, verschiedene Grade von Konzeption und Komposition.
TM Es hat mich wirklich beeindruckt, wie die jüngere Generation technische Mittel beherrscht. Andererseits hat es mir noch einmal klar gemacht, wie wichtig es ist, sich für etwas klar zu entscheiden, sehr essentiell zu arbeiten.
BJ Alle Ensembles in Berlin zu Gast zu haben, darauf sind wir schon sehr gespannt. Und es wird auch spannend sein, dieses Projekt in drei Städten zu präsentieren, gemeinsam mit den anderen Ensembles.
Ein weiteres Ensemblekollektiv ist aber nicht geplant?
BJ Nein, wir bleiben strikt unabhängig. Allerdings gibt es tatsächlich die Idee, das Projekt fortzusetzen und noch weitere Ensembles einzubinden.
Interviews und Kompilation der Zitate: Rainer Pöllmann