Klingt schief. Ziemlich schief sogar. Soll aber so. Denn die zwei Tastaturen, auf denen Ernst Surberg gerade spielt, sind gegeneinander verstimmt. Was bei allen Instrumenten sonst so gut es geht verhindert werden soll, ist hier beabsichtigt. Denn während die untere der beiden Tastaturen normal, also auf Kammertonhöhe gestimmt ist, liegt die obere ein gutes Stück darunter, genauer gesagt um zwei Sechsteltöne. Diese minimalen Verstimmungen sind kleiner als der Halbton, der üblicherweise das Quantum der westlichen Musik ist. In Olga Neuwirths Stück „Dreydl“, das hier gerade vom DSO geprobt wird, sind diese Stimmungen zum Prinzip erhoben. Das Werk von 2021 ist nach einem jüdischen Kinderspielzeug benannt, einem Kreisel, der eng mit dem im Winter stattfindenden Chanukka-Fest verbunden ist, und wird im Eröffnungskonzert des Ultraschall Festivals erklingen. Die um sich selbst kreisenden Bewegungen des Dreydl bildet das Stück in ständigen Wiederholungen von Pattern ab, die von tanzähnlichen Rhythmen aus jiddischen Liedern inspiriert sind. Dass der Kreisel schwankt und der Zufall bestimmt, auf welche Seite er fällt, erklärt die minimalen Verstimmungen in den verschiedenen Instrumenten, die den Klang so verschwimmen lassen, wie den schnell rotierenden Kreisel vor unseren Augen.
Die beiden Tastaturen, vor denen Ernst Surberg gerade sitzt und die gegeneinander verstimmt sind, gehören zu einem KORG BX-3, einer sogenannten Combo-Orgel. Sie wurde in den 1970er-Jahren erfunden, um den Sound der legendären Hammondorgel auf die Bühne zu bekommen, ohne das hunderte Kilo schwere Original selbst transportieren zu müssen. Das BX-3 imitiert also eine Orgel, besitzt deshalb zwei Manuale und hat neben Knöpfen – genau wie eine große akustische Orgel – Züge, mit denen sich der Klang verändern lässt. Mithilfe dieser Knöpfe und Züge moduliert Ernst Surberg während des Spielens den Sound seines Instrument und fügt sich so in das Orchester um ihn herum ein. So entsteht ein gut zehnminütiger, surrender und etwas dissonanter Kreisel aus Klang.
Für den Organisten stellt nicht nur das Spiel mit sich zum Teil überkreuzenden Händen auf zwei Tastaturen eine echte Herausforderung dar (das durften wir selbst ausprobieren) – auch das eigene Instrument im immer lauter werdenden Orchester zu hören und präzise zu spielen, verlangt einige Konzentration. Mithilfe der Knöpfe und Züge wechselt Ernst Surberg zusätzlich während des Spielens zwischen verschiedenen Sounds, vom verhaltenen Solo der Orgel zu Beginn bis zum Klangflächen inmitten des volltönenden Orchesters. Angetrieben vom beständig pulsierenden Schlagwerk entsteht so ein gut zehnminütiger, surrender und etwas dissonanter Kreisel aus Klang.