Angst, Misstrauen, Sehnsucht, erstickende Langeweile – diese Gefühle prägten für viele von uns die Zeit der Corona Pandemie. Doch wie lässt sich dieses Empfinden klanglich einfangen? Kann man Einsamkeit vertonen? Ähnlichen Fragen widmete sich der Komponist Robert HP Platz während der für ihn härtesten drei Monate der Pandemie, die er „wie eine stille Einkehr“ empfand. Das Ergebnis: sein Violinkonzert distancing…, ein Werk, das die Verletzlichkeit dieser Zeit vertont.
Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, spielt bei Ultraschall die Uraufführung mit der Geigerin Carolin Widmann. Platz beschreibt seine Heimatstadt Köln während des Lockdowns als „eine Stadt wie nach einem Giftgasangriff“. Diese dystopische Energie durchzieht sein Stück wie ein roter Faden. „Der Klang der Solo-Violine selbst spaltet sich dabei auf, verteilt sich im Raum, ganz so, als wolle er über die erzwungene Distanz hinauswachsen und in einem größeren Gemeinsamen aufgehen. Wollen wir das nicht selbst auch?“ spricht Platz das Publikum des Eröffnungskonzertes im Gespräch mit Andreas Göbel an. Er wollte ein Stück für ein Soloinstrument schreiben, das sich ausbreitet, den Raum erfüllt und nach Verbindung und Nähe sucht. Trotz des Abstandsgebots sucht die Solovioline, gespielt von Carolin Widmann, nach der Vergewisserung: Ich bin nicht allein. Dieses Konzept zeigt sich auch im besonderen Orchesteraufbau. Neben der Deutschen Aufstellung sind einzelne Musiker*innen unkonventionell im Konzertsaal verteilt: Zwei Querflöten sitzen hinten auf einer erhöhten Ebene und zwei Violinist*innen sind links und rechts auf den Emporen verteilt. Dieser Aufbau betont die physische und klangliche Distanz zwischen den Musikern, die dennoch darüber hinweg kommunizieren und in eine Art Musikgespräch verwickelt sind.
Die Idee geht auf. Die Solo-Violine ist der Fokus der Komposition. Ihr Spiel variiert zwischen plötzlichen panischen Ausbrüchen und wehmütiger Sehnsucht. Hektische, verzweifelte Passagen wechseln sich mit zarten Momenten der Besänftigung ab, wenn die auf den Tribünen verteilten „antwortenden“ Geigen in einem Trio mit der Solistin den Schmerz gefangen in ihrer Melodie lindern. Die Gespräche zwischen den Instrumenten sind flüssig und dynamisch; die „Redeanteile“ wandern zwischen den Stimmen hin und her. Besonders intim ist der Dialog zwischen der Solovioline und den Querflöten: Hier wirkt es, als hörten die Flöten einer Leidensgeschichte zu.
Vermehrt beschwört das Stück für mich Assoziationen eines Notzustandes. In einigen Passagen klingt die Solovioline wie ein verletztes Tier – hilflos, verzweifelt, auf der Suche nach Rettung. Hohe, schrille Vibratotöne erinnern an einen Hilfeschrei, der unangehört scheinen mag. Des Weiteren treffen Dissonanzen auf komplexe Harmonieschichtungen, die eine immer düster werdende Atmosphäre schaffen. Schließlich verdichtet sich das Werk: Tiefe Töne der Bässe untermalen die Solistin, bevor ein lang ausgehaltener Ton der Streicher das Ende des Stücks markiert. Hoffnung scheint hier keinen Platz mehr zu haben.
Zusätzlich zur Uraufführung des Violinkonzerts schrieb Platz eine Zugabe, Platz nennt sie ein Geschenk an das Publikum, eine Danksagung für die Zeit und Aufmerksamkeit der Zuhörer. Durch Doppelgriffe klingt Widmanns Solospiel, als würde ein Cello mitschwingen und bewegt sich auch abseits von klassischer „Schönheit“. Erneut verkörpert die Melodie Schmerz und Klage, sogar intensiviert, da die Violine nun in ihrer Einsamkeit klingt, als hätte sie alle Hoffnung von Rettung aufgegeben. Mit hohen, schmerzvollen Phrasen, die in Tempo und Dynamik abnehmen, endet die Zugabe in einem angeschrofften, unterbrochenen Ton, der sich wie ein letzter Atemzug anhört.